Im Keller
Nahrung in diesem Räumchen liegen lassen, bevor er endlich einen Arzt rief.
Ich schreibe dies alles, während ich noch im Krankenhaus liege, um mich zu erholen. Als ich erfuhr, was Clemens ausgesagt hat, bli eb mir erst einmal der Mund offen stehen. Er hat behauptet, weil er seit Tagen nichts von mir gehört habe, sei er im Haus gucken gegangen und habe mich im Gäste-WC gefunden, vermutlich von einem Einbrecher zusammengeschlagen, weil alle Schubladen im Haus durchwühlt worden sind. Und eine Krankenschwester erzählt mir, wie lieb sich Clemens um mich gekümmert hat in den ersten Tagen, als ich kaum ansprechbar war. Er habe jeden Tag Blumen mitgebracht.
Theo, ich weiß nicht, was ich denken und was ich fühlen soll! Soll ich ihn anzeigen? Wird man mir glauben? Und was ist mit der armen Uschi passiert?
Ja ... Uschi. Da geschieht auch schon die nächste Ungeheuerlichkeit: vor zwei Tagen kommt dieser Mensch zu mir ins Krankenzimmer, tut lieb und nett, solange meine Bettnachbarin da ist, aber kaum muss die mal ins Bad, da beugt er sich über mich und zischt mir ins Ohr: „Falls du auch nur ein falsches Wort sagst, dann tue ich Uschi Dinge an, die du dir in deinen schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen kannst!“
Was hätte ich machen sollen? Ich erzähle der Polizei die Geschichte vom maskierten Einbr echer und schäme mich. Ich schäme mich, weil ich nicht den Mut habe, mich zu wehren, und ich schäme mich, weil ich so ein Monstrum in die Welt gesetzt habe.
Auf den nächsten Seiten beschrieb Carmen Elisabeth, wie sie sich langsam erholte (wobei sie sich immer noch schämte), und wie sie, nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 26. September (das Datum hatte sie am Rand vermerkt) als erstes zum Notar ging, um sich zu erkundigen, ob sie ihren Sohn enterben konnte, ohne die Polizei ins Spiel zu bringen. Doch das schien nicht so einfach.
In den Keller traute sie sich ein paar Tage lang gar nicht. Dann tauchte der Name ,Martin‘ wieder auf.
Ich überlege, ob ich nicht doch Martin ins Vertrauen ziehen soll. Er ist ein starker, mutiger Mann, der sicher mit Clemens fertig wird, ja, das werde ich tun.
Also gestern war ich mit Martin im Keller, damit er das Schloss aufmacht, weil ich angeblich den Schlüssel verlegt hab. Ich war mir ziemlich sicher, dass Uschi nicht mehr da unten gefangen gehalten wird - sonst hätte mich Clemens kaum aus dem Gästeklo herausgelassen.
Aber ich wollte ganz sicher sein. Nicht, dass sie bei der Geburt verblutet war und immer noch im Kohlenkeller lag! Ich habe sie nämlich nach all den Vorfällen bisher nicht wieder gesehen.
Ich mache es kurz: Martin rückte mit seinem größten Bolzenschneider an, den er hatte, knac kte das Vorhängeschloss, rollte den Schrank beiseite und öffnete rabiat die Tür zum Kohlenkeller, die Clemens da eingebaut hatte und von der ich noch gar nichts wusste.
Aus dem kleinen, fensterlosen Raum dahinter quoll eine Luft, dass sich mir fast der Magen umgedreht hätte! Es roch nach Fäkalien und Blut. Die Bettlaken waren vollgesaut mit i rgendwas, und ich wollte gar nicht wissen, mit was. Auch auf dem grünen Flokati üble Flecken.
Und in dieser Hölle war Uschi zwei, drei Wochen gefangen? Theo, da kam mir dann doch alles hoch. Martin kümmerte sich um mich und brachte mich nach oben, wo er uns ein Schnäpschen einschenkte.
Das regte glücklicherweise meine Fantasie an, denn als Martin mich auszufragen begann, erzählte ich ihm haarsträubende Geschichten über wüste Orgien, die Clemens da unten heimlich feierte. Martin verstand nicht, warum ich das duldete, und regte sich furchtbar auf. Ich müsse nur ein Wort sagen, und er würde dem Kerl schon zeigen, wo der Hammer hängt!
Ich hatte Mühe, ihn zu beruhigen und musste ihm schließlich hoch und heilig versprechen, ihm sofort Bescheid zu sagen, wenn sich Clemens das nächste Mal daneben benahm.
Erst einmal war ich erleichtert, dass Uschi nicht im Keller war. Aber dann machte ich mir Sorgen, dass sie vielleicht gar nicht mehr lebt.
Es ist Oktober, Theo, die Tage werden kürzer, ich bin oft melancholisch und hoffnungslos.
Obwohl ich gestern endlich Uschi begegnet bin. Im Supermarkt. Sie hat so g etan, als sehe sie mich nicht. Wahrscheinlich hat ihr Clemens jeden Kontakt mit mir verboten. Die arme Frau sah so ausgemergelt aus, als hätte sie seit Wochen nichts gegessen, und dunkle Schatten hatte sie unter den Augen, richtig krank sah sie aus.
Ich hab draußen in meinem Auto auf sie gewartet.
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