Im Kerker der schönen Justine
Kraft besaß als ein Mensch, war es ein Leichtes, den Spieß umzudrehen. Sie rammte ihren Körper gegen die Tür, die durch den Schwung nach innen krachte und die Ärztin gleich mitriss.
Die Frau riss beide Arme hoch und schrie. Sie flog in einen kurzen Flur hinein, prallte gegen eine Türkante und fing sich erst dort wieder. Ändern konnte sie nichts mehr, denn Justine Cavallo war sofort nach dieser Attacke mit einem langen Schritt in das Haus gegangen und wuchtete die Tür mit einem Tritt ihres rechten Beins wieder zu.
»Und jetzt sind wir zwei Hübschen allein«, sagte sie und zog die Oberlippe zurück...
***
Ob Dr. Bonham tatsächlich aufgegeben hatte, das wussten wir nicht. Jedenfalls traf er keine Anstalten, uns entgegenzutreten. Er verhielt sich normal, und es sah auch alles völlig normal aus, als wir drei zu einem Aufzug schritten, wobei wir den Arzt in unsere Mitte genommen hatten wie zwei Leibwächter.
»Wo geht es hin?«, fragte Suko.
»In den alten Leichenkeller.«
»Sehr schön.«
»Sie werden sich noch wundern«, warnte Bonham.
»Das hat man uns schon oft gesagt, und wir haben uns inzwischen daran gewöhnt.«
»Hier ist alles anders.«
»Kann sein, und für Sie bestimmt, Doktor. Aber worauf setzen Sie denn? Was ist Ihr Trumpf?«
Die Antwort sparte er sich, denn jetzt rumpelte der Aufzug von unten hoch.
Die breite graue Eisentür mussten wir noch selbst aufziehen, was Suko übernahm.
Wir traten ein.
Auch jetzt zeigte sich der Arzt nicht störrisch. Er hatte sich sogar wieder gefangen. Vielleicht zählte er auf die abschreckende Wirkung eines Leichenkellers. Damit konnte er uns allerdings nicht beeindrucken.
Wir fuhren leicht wacklig in die Tiefe. Der Aufzug – mehr für Lasten gedacht – rumpelte hin und wieder. Er eckte an und war nicht besonders schnell, aber das alles brachte uns nicht aus dem Konzept.
Dann stoppten wir.
Mich überfiel dabei der Gedanke an Justine Cavallo. Sie hatte sich selbstständig gemacht. Ich kannte ihren Willen, der dann eintrat, wenn sie sich mal an einer Sache festgebissen hatte, und so hätte es mich nicht gewundert, wenn sie uns in dem unterirdischen Bereich entgegengekommen wäre. Bonham eröffnete uns, dass wir in den alten Teil mussten und wir uns eigentlich in dem neueren Keller befanden.
»Kein Problem«, sagte ich.
Die Strecke war nicht groß. Was um uns herum angesiedelt war, das kümmerte uns nicht, wichtig war die Tür, die der Arzt aufschloss. Sie war der Weg in den alten Keller.
Wir traten ein.
Es gab auch Licht, und wir standen in einem Raum, in dem es nach Menschenblut roch. Suko kannte den Geruch ebenso wie ich, und wir beide wussten, dass wir uns nicht geirrt hatten.
Der Raum war nicht leer. Ein Obduktionstisch bildete praktisch den Mittelpunkt. Nicht weit davon entfernt, standen Pumpen, waren Schläuche zu sehen und Kanülen. Antiseptisch war das nicht eben, aber darauf kam es hier offenbar nicht an.
»Und hier ist es geschehen«, erklärte Dr. Bonham mit einem gewissen Stolz in der Stimme.
Er brauchte nicht mehr zu erklären, wir sahen es selbst. Einen gewissen Schauer konnte ich nicht vermeiden, als ich die Bänder sah, mit denen die bedauernswerten Menschen auf diesem zweckentfremdeten Tisch festgeschnallt worden waren.
»Wo ist das Blut?«, fragte ich den Arzt. »Sie werden es doch nicht weggekippt haben, nachdem es abgezapft wurde. Oder doch?«
»Nein.«
»Für wen war es bestimmt?«
»Justine wollte es.«
»Perfekt«, brummte ich. »So weit waren wir schon mal. Was hatte sie damit vor? Wollte sie es trinken?«
»Es kann sein.« Er lächelte.
»Sie müssen es wissen! Oder haben Sie sich vielleicht mit einer Blutsaugerin abgegeben?«
»Sie liebte das Blut. Sie wollte es haben, und ich habe ihr dabei geholfen, es zu besorgen. Das war alles. Ich bin ihr Geliebter und zugleich ihr Helfer gewesen.«
»Dann hat sie Ihnen vertraut?«
»Sehr sogar.«
Ich fragte weiter. »Sie waren also stets über ihr Tun und Lassen informiert?«
»Das hoffe ich doch.«
»Dann werden Sie uns auch jetzt sagen können, wo sie sich aufhält, damit wir sie selbst fragen können.«
»Sie wird sich ausruhen. Das hat sie nach der langen Nacht verdient.«
»Und wo ist das?«
Er grinste scharf. »Das habe ich vergessen. Es tut mir Leid, ich weiß es nicht mehr.«
Er strahlte uns an, als hätte er uns etwas Besonderes gesagt. Das war für ihn auch so. Denn offensichtlich wollte er uns von Justine Varela fern halten.
Da er uns in diesen Kerker
Weitere Kostenlose Bücher