Im Kerker der schönen Justine
kurzen und heftigen Atemstöße zu hören.
Der Pfleger schob die Bahre vor. Sie glitt an uns vorbei. Die Rollen mit der Gummibereifung ließen ein lautloses Fahren zu.
Ich wusste selbst nicht, weshalb Misstrauen in mir hochkeimte. Suko war bereits vorgegangen. Er drückte den Arzt in den Lift hinein. Der Mann hielt den Kopf gesenkt, als wollte er nichts mehr sehen. Er machte wirklich den Eindruck, als habe er sich in seine Niederlage ergeben.
Mich passierte die Bahre. Dann folgte der Pfleger, der ebenfalls in seinen Turnschuhen lautlos gehen konnte.
Mein Blick fiel zum letzten Mal auf die Gestalt des Toten unter der Decke.
Da sah ich es.
In Kopfhöhe und unter dem Laken malte sich etwas Rotes ab. Ungefähr in Höhe der Stirn.
Plötzlich war mir alles klar. Ich wollte Suko eine Warnung zurufen, als der Pfleger angriff. Er war bereits an mir vorbei, drehte sich und schlug zugleich zu.
Den Arm mit der Faust sah ich zu spät. Abducken war nicht mehr drin. Der Treffer erwischte mich knallhart an der Stirn, und die Wucht trieb mich in den Gang hinein...
***
Dr. Justine Varela stand an der Tür und starrte auf die Person, die einen langen Schritt in das Haus hineingetreten war und sich nicht mehr bewegte.
Justine hätte nachsetzen können. Doch das wollte sie nicht. Sie wollte, dass die andere Person endlich redete, damit Licht in diese verdammte Sache hineinkam.
Sie fixierten sich.
Justines Blick war kalt. Nicht so der der Notärztin. Er flackerte. Er gab die Gedanken wider, die in ihr tosten, und wahrscheinlich sah sie ein, dass sie sich nicht eben auf der Siegerstraße befand.
Dass Justine ihre beiden Blutzähne zeigte, schien sie nicht zu stören. Möglicherweise war ihr so etwas bekannt, und das wollte die blonde Bestie genau wissen.
»Ich bin hier, Dr. Varela, und ich werde nicht eher verschwinden, bis ich alles weiß. Nur, dass wir uns verstanden haben. Und wir können uns Zeit lassen.«
»Hau ab, verdammt!«
»Nein, Justine, das werde ich nicht. Du hast mich doch gesucht. Du hast den Kontakt zu mir finden wollen. Oder habe ich mich da geirrt? Wir sehen uns nicht zum ersten Mal. Du bist in meiner Nähe gewesen, und das nicht ohne Grund.«
Beim letzten Satz hatte sie sich in Bewegung gesetzt und ging nun langsam auf die Ärztin zu. Ihre Haltung war nicht mal besonders angespannt, eher locker, aber Justine Varela wusste genau, dass sie in diesem Moment nur die zweite Geige spielte. Eine Person wie Justine Cavallo hatte hier alles im Griff.
Deshalb musste die Notärztin zurück. Da war sie wie die Hündin, die gegen ihre Artgenossin den Kürzeren zog.
Es gab in diesem Bau keine Treppe nach oben. Der eigentliche Wohnbereich bestand nur aus einem großen Raum, in dem gelebt, geschlafen und gekocht werden konnte. Justine fiel beim ersten Rundblick sofort der große silbrig schimmernde Kühlschrank auf.
Ja, die Fenster waren von innen verhangen. Es gab künstliches Licht. Abgesehen von einer pilzförmigen Leuchte, die zudem noch orangefarben eingefärbt war.
Sie belauerten sich wieder. Die Ärztin stand vor der Couch, die nur zwei Menschen Platz bot. Davor bildete der kleine Holztisch ein Hindernis. Einige Zeitschriften lagen darauf. Medizinische Fachblätter, mit denen nur Ärzte etwas anfangen konnten.
Wer war Justine Varela? Diese Frage stellte sich Justine. Den Gedanken, eine Artgenossin vor sich zu haben, den hatte sie bereits abgehakt. Aber sie stufte die Person auch nicht als einen normalen Menschen ein. Sie musste schon etwas Besonderes sein, und ihr kam der Gedanke, dass sie tatsächlich von einer bestimmten Person ausgesucht worden war. Von einem Vampir mit einem blutroten D auf der Stirn.
»Wir beide werden uns jetzt einiges zu sagen haben, ob es dir nun passt oder nicht. Ich will endlich wissen, wer dich mir so verdammt ähnlich gemacht hat. Und ich werde meine Antworten erhalten, denn ich schrecke vor nichts zurück, das solltest du dir merken.« Um zu beweisen, wer sie wirklich war, zeigte Justine wieder ihre Zähne, aber damit jagte sie der anderen keine Angst ein. Sie änderte weder ihr Verhalten noch ihren Blick.
Justine erhielt eine Antwort. Nur anders, als sie es sich vorgestellt hatte.
»Hau ab! Verschwinde aus meinem Haus! Ich will dich nicht mehr sehen, verflucht!«
»Ich bestimme, wann ich gehe.« Die Cavallo hob ihren rechten Fuß für einen Moment an. Dann trat sie gegen den kleinen Tisch, der zur Seite flog.
Ein normaler Mensch wäre durch den Schmerz sicherlich
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