Im Kinderzimmer
nehmen Sie sich. Was immer Sie wollen.«
»Wissen Sie was, ich glaube, das werde ich ausnahmsweise mal tun. Einen Whisky.«
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Mit Vergnügen. Harrison bedient sich sowieso ganz ungeniert, aber ich mag ohnehin keinen Whisky. Ich schenkte ihr unsicher ein, und dann saßen wir uns stumm gegenüber, jede mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt. Sie hatte einen ordentlichen Zug drauf und schenkte sich von dem bernsteinfarbenen Zeugs nach. Das Gewissen, das nicht in Alkohol löslich wäre… dachte ich, als sich ihr Gesicht stetig rötete, dann war ich jedoch schon wieder bei meinem ursprünglichen Problem.
»Mrs. Harrison, tut mir leid, daß ich jetzt damit komme, aber es sieht ganz so aus, als vermißte ich eine Halskette.«
Sie trank etwas hastig aus, wollte sich nicht nachfüllen lassen. In ihrem Stuhl weit zurückgelehnt, den einen Arm auf den Küchentisch gestützt, wirkte sie ehrfurchtgebietend: wie ein Boxer zwischen Runden.
»Oje, Mrs. Pearson, wie furchtbar, oje, oje. Ich frage mich, ob…
aber nein.« Sie schielte mich von der Seite an, ein verstohlener, besorgter Blick.
»Wollten Sie mir etwas sagen, Mrs. Harrison?«
»Tue ich ja ungern, wissen Sie… schlecht über andere reden, und wo ich nicht einmal weiß…«
»Na, kommen Sie, heraus mit der Sprache! Ich hoffe, es ist Ihnen klar, daß ich keinen Augenblick daran gedacht habe, daß Sie oder Harrison etwas damit zu tun haben könnten, ganz bestimmt nicht, aber ich weiß nun einmal hundertprozentig, daß ich eine goldene Halskette in einem Schuhkarton im Arbeitszimmer habe liegen lassen, und weil ja Harrison ab und zu mal Staub wischt dort oben, dachte ich mir, er hätte sie vielleicht gesehen. War denn irgend jemand im Haus, Fremde vielleicht? Lieferanten irgendwelcher Art, Handwerker?«
Sie zögerte merklich. »Nein, niemand«, versicherte sie. »Weder heute noch gestern.« Wieder Pause. »Außer Mrs. Allendale natürlich.
Die war auf eine Tasse Tee da. Kam früh von der Arbeit.«
»Im ersten Stock?« Ich studierte eingehend meine Hände.
»Im Souterrain, bei uns.« Sie zeigte mit dem Finger auf den Kü-
chenfußboden. »Aber… sie war wohl oben, auf der Toilette, als ich den Tee gekocht habe. War eine ganze Weile weg. Und als sie wie-207
derkam, hat sie sich sehr merkwürdig benommen, hatte es ziemlich eilig, wegzukommen. Und Jeanetta, nun die läßt schon mal ein Spielzeug mitgehen… aber Sie glauben doch nicht…? Nein, unmöglich, das würde sie nicht tun, die Allendale, nie im Leben.«
»Nein«, sagte ich in bestimmtem Ton. »Ausgeschlossen.« Ungemütliches Schweigen.
»Nein, nein, gewiß nicht«, murmelte die gute Frau. »Tja, ich weiß auch nicht, Mrs. Pearson, ich weiß nicht.«
Danach versank der Abend in Dunkelheit, wie es diese endlos langen Abende zu tun pflegen, wo einen Gefühle im Dunkel umtänzeln wie Leuchtkäfer. Ich schlurfte in der Küche auf und ab: Was habe ich falsch gemacht, was richtig, ein Leben in Scherben, die Abwehr am Abbröckeln, noch ein Glas, bitte. In den Garten hinausstarren, ein Stück Käse hinunterwürgen. Unsichere Schritte hinauf in Sebastians Arbeitszimmer, Spurensuche, dann wieder in meine eigene Höhle, die Suche nach Halskette und Kindheit, für die sie stand, aufgegeben.
Über den Flur, in die Zimmer schlafender Kinder, lange betrachten, wieder raus, wieder rein, mich nicht losreißen können, ängstlich, sie alleine zu lassen und ängstlich, den zerbrechlichen Frieden zu stören.
Über die Halskette nachzudenken ist sehr viel angenehmer, als über den Rest. Klar, oder? Klar auch, weshalb David Änderungen seiner Haushaltsroutine vornehmen muß, Änderungen dahingehend, daß er sie zu Hause behält, im Blick hat. Sicher nicht sehr hübsch, eine Diebin zur Frau zu haben, wo er doch schon einen Dieb zum Vater hatte. Im Gegenteil, ein so schwerer Schicksalsschlag, daß ich un-gnädiges Miststück mich zu Edelmut aufschwingen muß. Außerdem bedeuten mir Dinge längst nicht mehr so viel wie früher. Weiß auch nicht warum. Soll sie das verdammte Ding doch behalten; immerhin ist sie nicht Sebastians Flittchen, die dankbare Rolle fällt einer anderen zu. Gerede, Gerede, Gerede. Was nutzt schon das ganze Gerede.
Ich mochte die Kette sowieso nie leiden; ich wollte es bloß wissen.
Also noch einen letzten Schluck mit auf den Weg. Weiß nicht, welchen Weg, aber er scheint bergab zu führen. Mir gehen diese verflixten Witze nicht aus dem Kopf! Wie naiv von mir zu glauben, ich könnte mich
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