Im Kinderzimmer
Berserker, alle Vorsicht in den Wind schlagend, außer sich vor Entsetzen.
Der Obdachlose brauchte Mitmenschen. Und wenn sie ihm den Arm auf den Rücken drehten und wenn sie nach ihm schlugen oder ihn verprügelten, selbst dann brauchte er sie jetzt, konnte seinen Rede-280
fluß nicht eindämmen oder die gegerbten, zernagten Finger zurückhalten, die verzweifelt nach Aufmerksamkeit trommelten. Er brabbelte wildes Kauderwelsch, brabbelte wie das Kind am Fenster, verlangte nichts als Einlaß.
Nachdem die Polizeibeamten, die sich eher durch Gleichgültigkeit denn durch Gründlichkeit auszeichneten, eingetroffen waren, den schmächtigen, verdreckten Schwachsinnigen in Gewahrsam genommen hatten und wieder abgefahren waren, machte Mrs. Harrison erst einmal eine Tasse Tee – richtig schönen starken Tee, mit reichlich Zucker, so richtig nach ihrem Geschmack, mehr Zucker als üblich sogar, weil Zucker gut war gegen Schock. Samanthas Geschrei hatte zum allgemeinen Aufruhr und zum eiligen Aufbruch der Beamten beigetragen, was ihr jetzt mit Schokokeksen gedankt wurde. Wegen des Tohuwabohus hatten die Beamten kaum Fragen gestellt, hatten eine Tasse Tee dankend abgelehnt, hatten sich enttäuscht gezeigt über diesen Einsatz – lediglich ein weiterer Obdachloser in einem Viertel, das von ihnen wimmelte.
»Ganz schön gesprächig, der Kerl, wie?« meinte Harrison, mutiger jetzt im nachhinein und zuversichtlich.
Mrs. Harrison war in erster Linie dankbar dafür, daß die Hausherrin nicht zur Unzeit wiedergekehrt war. Die alte Lüge über die Halskette lastete schwer, obwohl, bei Mrs. Pearsons allgemeinem Desinteresse, fiel die Lüge vielleicht kaum noch ins Gewicht. Trotzdem, es hätte einigen Ärger geben können, man wußte ja nie, mal abgesehen davon, daß es ihr so in Fleisch und Blut übergegangen war, bei Bedarf nicht ganz die Wahrheit zu sagen, daß sie mit dieser alten Gewohnheit nicht mehr brechen konnte. Besser, man ließ sie im Unklaren –
außer, was die eigenen Vorzüge anbetraf. So hatte sie es während vieler langer Dienstjahre in verschiedenen Häusern gehalten, für die sie ihrem Gefühl nach nie gebührend belohnt worden war. Außerdem war es für Geständnisse zu spät, selbst wenn sie Jeanettas wegen, an die sie ständig denken mußte, die Unehrlichkeit zu Lasten Katherine Allendales bitter bereute und zutiefst beunruhigt blieb.
»Lauter wirres Zeug«, räumte sie zögernd ein. »Dieser blöde Penner! Plappermaul! Wie ein Papagei! Irgendwas muß ihm einen gehö-
rigen Schrecken eingejagt haben. Wer weiß? Wie er dauernd ver-281
sucht hat, die Bullen in den Garten rauszuzerren, wo’s nichts zu sehen gibt! Und wie der rumgefuchtelt hat, mit den Fingern gezeigt hat, mit den Armen gerudert hat! Nicht ganz dicht, der arme Teufel.
Aber irgendwas muß er doch gesehen haben. Warum sollte er sonst klopfen?«
»Vielleicht wollte er ja geschnappt werden. In einer Zelle ist es wahrscheinlich gemütlicher als draußen im Regen. Muß am Regen gelegen haben. Ich dachte, der spricht irgendeine Fremdsprache, zwischendurch. Brocken.«
»Und wie würdest du das wohl erkennen?« höhnte sie.
»Weiß nicht, aber ich hab nichts verstanden, also kann es doch kein Englisch gewesen sein, oder?«
»Vielleicht hat er sich bei dir bedankt, daß du ihn hereingelassen hast. Wie schon einmal. Mach doch mal die Fenster auf, es stinkt hier drinnen.«
Harrison überging die kleine Spitze, ließ sich in einen Sessel fallen, den ältesten, verschlissen ausschließlich durch seinen eigenen Aller-wertesten, schlürfte seinen Tee und rutschte dann unruhig hin und her.
»Nanu, was ist das denn?« Eine ungewohnte Unebenheit beeinträchtigte die Bequemlichkeit des Sessels, störte ihn, der er jeden Zentimeter seines geliebten Stammplatzes ersessen und erkundet hatte.
»Hier, guck mal«, sagte er und zog etwas Rotes unter seinem Hintern hervor. »Hat er liegenlassen.« Der rote Umhang kam zum Vorschein, schmutzig und zerknittert. »Für wen hält der sich wohl?«
amüsierte sich Harrison. »Batman?«
Mrs. Harrison entriß ihm das Kleidungsstück. »Tu das weg, Idiot!
Sitzt der auch noch drauf, wer weiß, wo das herkommt!« Sie hielt den Stoff mit spitzen Fingern von sich weg, verwundert und mit einem vagen Gefühl des Wiedererkennens. »Muß mal ganz hübsch gewesen sein«, meinte sie und trug das Ding am ausgestreckten Arm zum Ofen hinüber. Dann schien sie es sich anders zu überlegen und stopfte den Umhang in den Abfalleimer.
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