Im Kinderzimmer
gehöre er nicht zum Repertoire.
Katherine bewegte sich wie eine Marionette. Die Beine wollten ihr nicht recht gehorchen. Sie stakste hölzern zum Tisch hinüber, zum bereitgestellten Roastbeefsandwich. Jeanetta bei Sophie, Besuch bei der zerstreuten Oma, wie schön! Hatte er doch gesagt, er würde sie 284
doch nicht belügen, hätte die Tür zum Erkerzimmer doch auf jeden Fall zugesperrt, das tat er immer, mit allen Türen. Sie bildete es sich bestimmt ein, der Regen spielte ihr einen Streich, verdarb ihr die Laune, brachte sie um ihre Chance, mal verwöhnt zu werden. Sie starrte auf das Sandwich, Vollkornbrot, Roastbeef und ein Klacks Senf, für den Geschmack. Sie zog eine unverschlossene Schublade auf, holte Klarsichtfolie heraus, wickelte das Sandwich ein und stopfte es in ihre Handtasche. Sie kam steif aus der Hocke wieder hoch, durchquerte mit ruckhaften Bewegungen den Raum, ohne zur Tür des Erkerzimmers hinüberzublicken und drehte das Radio lauter.
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Die Katze hatte Sophie am Sonntagmorgen gefunden. Sophie Allendale hatte ihre ganze Kraft, der immer, egal, was sie tat, eine eindeu-tige Stoßrichtung zu fehlen schien, aufgeboten, hatte sich der furcht-erregenden Untergrundbahn anvertraut, war zu weit gefahren und hatte die Station, welche dem Haus des Sohnes am nächsten lag, verpaßt, und das bloß, weil die durch den Einbruch erlittenen Verluste sie zu ungewohnter Bescheidenheit bewogen hatten, denn in der Regel nahm sie ein Taxi oder ging zu Fuß. Am liebsten letzteres –
sofern sie nicht mehr als ein paar hundert Meter auf einmal ohne Rast gehen mußte. Noch nie in ihrem ganzen in Abhängigkeit ver-brachten Leben war Sophie unangekündigt bei ihrem Sohn erschienen; allein die Kühnheit des Unterfangens machte sie also schon nervös. Dazu die Rücksichtslosigkeit des Zugführers, der sie mit Absicht an der falschen Station ausgesetzt hatte, wo sie zuvor so lange in einer beleidigend häßlichen Umgebung auf das Ding gewartet hatte! Das versetzte sie derart in Rage, daß sie zornig und aufs Geratewohl von der falschen Station aus losstapfte, Verwünschungen des Inhalts murmelnd, daß die sie das letztemal gesehen hätten und sich noch wundern würden! Zwei Haltestellen – auf dem Plan im Untergrundtunnel eine lächerliche Entfernung, ein gerader Strich, keine nennenswerte Distanz. Doch bei ihrem Auftauchen aus der Station hatte sie die Orientierung verloren, war auf eine Hauptstraße gestoßen, die in eine andere, noch stärker befahrene Straße mündete, und war, auf der Suche nach einer ruhigen Nebenstraße, auf den kleinen Sonntagsmarkt gestoßen, wo Musik von den Ständen schallte und Kleider aller erdenklichen Farben zum Verkauf angeboten wurden. Das kostete sie eine halbe Stunde und ganze drei Pfund Sterling.
Mit jeder blanken Münze, von der sie sich trennte und die sie an die Schokoladentaler für Kinder an Weihnachten erinnerte, mußte sie flugs den Gedanken verscheuchen, daß sich die Ausgaben auf eine Summe beliefen, die den Kosten für ein Taxi von ihrer ausgeräuber-ten Wohnung zum Hause ihrer Enkel gleichkam.
Doch was zählte das schon, wenn sie für das Geld je ein Paar neonfarbene Socken für die Kinder ergattert hatte und eines für David. Er 286
würde sie auslachen, sähe aber, daß sie seinen Geburtstag nicht vergessen hatte. Sie hoffte bloß, daß die Vorfreude auf dieses Ereignis bereits auf dieses Wochenende davor abgefärbt hatte, so daß man sie willkommen hieße, obwohl sie mit einer ungeschriebenen Regel brach, so daß er ihr auch unangekündigt Zutritt gewährte, so daß er geneigt wäre, zu erklären, weshalb er nach ihrem Hilferuf, mitten in der Nacht immerhin, nicht wie versprochen vorbeigekommen war.
Das war die Frage, die es zu klären gälte, wenn sie nur erst heraus-bekäme, wo genau sie sich eigentlich befand. Die Katze sah sie just in dem Moment, da sie sich am liebsten hingesetzt und laut aufge-heult hätte, nacheinander ihre sämtlichen Namen geheult, damit sie herbeigeeilt kämen und sich ihre Klagen anhören müßten: welche Umstände sie einer alten Frau bereiteten und überhaupt, weil sie sich verirrt hatte.
Da war sie nun so tapfer losgezogen, hatte sich den ganzen Abend zuvor innerlich vorbereitet: »Also hör mir mal gut zu, David, was erlaubst du dir eigentlich? Ich bin immerhin deine Mutter… nun hör mir mal gut zu.« Möglich, daß sie der Mut verlassen hätte, sobald sie ihm auf seiner Schwelle gegenüberstand, doch sie konnte die
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