Im Kinderzimmer
Schwelle ja nicht einmal finden! Irgendwo zwischen Fußgänger-
übergängen und Unterführungen und den vielen Autos hatte sich ihr Mut aufgebraucht. Nun saß sie an der Straße, zählte ihr Geld und weinte. Da kam die Katze, strich ihr um die Beine und stimmte in ihr leises Wimmern mit ein.
Seit dem Einbruch war sie sehr tapfer und diszipliniert gewesen, doch gelegentlich stellte sie fest, daß ihr alles entglitt, daß sich die Dinge unter der Hand wandelten, daß ihre üblichen Reaktionen eine Art Metamorphose erfuhren. Normalerweise hätte sie die unscheinbare Kreatur zu ihren Füßen nicht einmal zur Kenntnis genommen –
dieses dreckige, von Kämpfen gezeichnete, humpelnde Tier mit seinen zerfransten Ohren und dem kaputten Auge, häßlich wie die Nacht, auch dann noch, wenn man die Wechselfälle seines Katzen-schicksals berücksichtigte. Sophie besah sich das Tier, besann sich, wer sie war.
»Hinweg mit dir!« schimpfte sie. »Fort, du Mißgeburt!« Der schneidende Ton, die tragende Stimme hätten einem Paradeplatz alle 287
Ehre gemacht, doch es war niemand zugegen, der ihre Autorität an-erkannt hätte.
»Mach, daß du wegkommst«, wiederholte sie dräuend, dann, mit einem Blick auf ein zerrupftes Ohr, fügte sie, plötzlich verwirrt und in schemenhafter Erinnerung gefangen, hinzu: »Bitte, ach bitte, laß mich in Frieden, bitte!«
Die Katze machte einen Buckel und drängte sich gegen ihre Knö-
chel, während ein Lastwagen vorbeidonnerte.
»Du dürftest gar nicht hier sein, wirklich, nicht der geeignete Ort für dich«, wies Sophie das Tier zurecht und rieb sich die Schienbeine. Die Berührung war ganz angenehm. Dann bewegte sich das Tier auf die Fahrbahn zu, und Sophie sah, wie klein es war. Gar keine ausgewachsene Katze, eher ein Kätzchen, vom Schicksal gebeutelt und des Gesetzes der Straße noch unkundiger als sie selbst. Es machte einen Satz auf den Verkehr zu. Vielleicht hatte es geglaubt, sie werde nach ihm treten! Oje, oje, was für eine schreckliche Vorstellung, als würde sie jemals so etwas tun!
»Halt!« befahl sie. »Bleib sofort stehen!«
Der magere Katzenrumpf wankte im Luftwirbel des Sogs eines vorbeifahrenden Autos. Sophie ließ Socken und Handtasche fallen, schoß vor und sprang, das Katzenbündel in den Händen, in den Schutz einer Brüstung zurück.
Sie schob es vorne in den Ausschnitt ihrer besten Strickjacke und las ihre Handtasche auf. Ihre Hände und die weiße Spitze ihrer Manschetten waren beschmutzt. Sie hatte das eigenartig erhebende Ge-fühl, etwas gestohlen zu haben. Deswegen und wegen ihres schmuddeligen Zustands war einzusehen, daß sie von ihrem geplanten Besuch bei David absehen mußte.
»Dem Tod von der Schippe gesprungen, meine Liebe! Im Ernst, ich hätte nicht gedacht, daß ich das Zeug dazu hätte. Vor den Rädern eines Brummis gerettet. Stimmt’s, Mieze? Netter Taxifahrer, was, der uns heimgefahren hat?«
»Umsonst?« fragte Mary zynisch, wie immer mißtrauisch gegen-
über irgendeinem möglichen Beispiel reiner Menschenfreundlichkeit.
Die Saga dieses Abenteuers nahm jetzt schon mehr Zeit in Anspruch, als sie eingeräumt hatte. Sie war auf eine Stippvisite vorbeigekom-288
men, als kurze Erlösung von der drückenden Last des Sonntagnach-mittags, die stets noch schlimmer war als die des Samstags. Wenn diese lange verwickelte Geschichte eine Pointe gehabt hatte – mal abgesehen von dem widerlichen Tier auf dem Kaminvorleger – dann war sie ihr bereits entfallen. Genau das hatte die Erzählerin auch bezweckt.
»Aber nein, wir haben ihn bezahlt.« Sophie dachte gar nicht daran zu beichten, daß sie ihm als Entgelt die neonfarbenen Socken angeboten hatte. »Jedenfalls ist das der Grund, daß ich es nicht mehr zu David geschafft habe.«
»Weshalb wolltest du eigentlich hin?« fragte Mary. »Hatten sie dich eingeladen? Solltest du nicht vielleicht lieber anrufen und ihnen erklären, weshalb du nicht gekommen bist? Es ist immerhin schon drei. Du weißt doch, wie genau sie es sonntags mit dem Essen nehmen. Oder vielmehr an jedem Tag.«
»Nein, sie haben mich nicht eingeladen, wenn du es genau wissen willst.« Sophie gab es ungern zu. »Ich bin auf eigene Faust los. Dem Jungen mußte mal jemand die Leviten lesen. Hat nicht einmal vor-beigeschaut, nach dem Einbruch. Unglaubliches Benehmen. Katherine auch nicht.«
»Ach, Sophie, meine Liebe, es tut mir so leid! Das mit dem Einbruch. Wirklich furchtbar. Du hättest mich anrufen sollen.«
»Dich wollte ich
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