Im Kinderzimmer
Initiativen hochgearbeitet, war unentbehrlich, war unerbittlich.
Es ödete Katherine an, nervte ebenso wie Marys regelmäßige Besuche bei ihrer Schwiegermutter, von denen sie wußte und deren An-maßung sie ärgerte. Als sie noch nicht gelernt hatte, den Mund zu halten, hatte die kleine Schwester die große gelegentlich »Pfadfinde-rin« geschimpft. Inzwischen hörte sie höflich zu. Interesse zu heucheln hatte sich als einfacher erwiesen.
»Also ehrlich, Katherine, die Leute sind so unfähig, du machst dir keine Vorstellung! Hättest du nicht Lust, einzusteigen? Du solltest dich nützlich machen.«
Das bekam sie jedesmal zu hören, fast wortgleich, und jedesmal wiegelte Katherine ab, empfand den Vorschlag als Unverschämtheit; als ob sie selbst nichts zu tun hätte.
»Es wäre wegen der Kontakte ja ganz nett«, erklärte sie ausweichend, »aber ich liebe die Menschen nicht grundsätzlich, so wie du es tust.«
Und ich sollte nicht ständig an ihr herumkritteln, dachte Mary, schließlich ist sie als verheiratete Frau wesentlich besser dran als zuvor. Doch Katherine hörte ihr gar nicht zu, sie hörte ihr oft nicht zu. Mary seufzte. Auch das war nichts Neues. Kath war immer eine Träumerin gewesen, hatte sich vor Unannehmlichkeiten in Träumereien geflüchtet. Kath war wie ein offenes Buch.
»Mary«, hob Katherine an, als wollte sie ein Thema von immenser Bedeutung anschneiden. »Kannst du dich an diese Schlafanzüge erinnern, die wir als kleine Kinder hatten?«
»Wann meinst du?« Mary war verdutzt über diese unerwartete Frage aus heiterem Himmel, nicht vorbereitet.
»Du weißt schon. Wir werden so vier gewesen sein. Oder ich vier, du zehn. An dieser ersten Schule oder was das war. Wo wir morgens in so Flanellschlafanzügen aufwachten. So ein steifes Flanellzeugs, einfarbig, eigentlich nicht sehr angenehm im Bett. Eher was zum drin Spielen. Weißt du noch?«
»Nein.« Aber sie wußte es genau. Sie hatte bloß immer angenommen und gehofft, Katherine selbst wüßte es nicht mehr. Ihre Hand 79
krampfte sich um die Teetasse, Erinnerungen suchten sie heim. Sie und Katherine, aus dem dunklen Kohlenkeller eines Hauses gerettet, wo ihre Eltern sie – absichtlich oder unabsichtlich – im Stich gelassen hatten und einfach weitergezogen waren. Mary wünschte manchmal, sie könnte in Erfahrung bringen, welcher Drogenrausch, welcher Wahnsinn dazu geführt hatte, doch sie hatte es sich verknif-fen. Was hätte es ihr genutzt, zu wissen, wie es dazu kommen konnte, daß sie und Katherine dort, halb ohnmächtig von dem Schreien nach Hilfe, ans Licht gezerrt worden und irgendwo an einem fremden Ort aufgewacht waren mit dem Geruch von Karbol und steifem Flanell in der Nase? O ja, sie wußte es genau, und sie verdrängte die Erinnerung mit aller Macht. In einem kurzen erhellenden Aufblitzen plötzlicher Eingebung, aus ungewohnter Perspektive betrachtet, begriff Mary schlagartig, weshalb sie ihr Leben dem Wohle anderer verschrieben hatte, während Katherine mit aller Macht nach Sicherheit und Komfort gestrebt hatte. Die Erkenntnis huschte vorbei wie ein Schatten; es war so vieles geschehen in der Zwischenzeit. Mary war der Ansicht: Was vorbei war, war vorbei und durfte nicht benutzt werden, um die Gegenwart zu erklären oder zu entschuldigen.
Sie empfand das so vehement als Zeitverschwendung, daß sie Katherines Erinnerung am liebsten schlichtweg geleugnet, sie als Einbil-dung abgetan hätte. Doch obwohl sie Katherine immer wieder eingeschärft hatte, nicht nachzudenken, brachte sie das nicht über sich.
»Wieso um alles in der Welt interessierst du dich für diese verfluchten Baumwollschlafanzüge?«
Katherine war ganz in ferne Erinnerungen versunken, dann schüttelte sie sich und lachte.
»Weiß nicht, ich mußte einfach an die Dinger denken. Jeanetta ist versessen auf Schlafanzüge. Jungenschlafanzüge.«
»Dann ähnelt sie ihrer Mutter«, bemerkte Mary bissig, ihr Tonfall wegen der von Katherine überfallartig heraufbeschworenen Bilder scharf. Katherine ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen.
»Hm. Deswegen überlege ich, wo ich so etwas wohl bekommen könnte. Nicht fürs Bett, sondern die sie beim Spielen tragen könnte.
Die Dinger haben in der Taille einen Gummizug, weißt du, sie sind schön weit. Es müßte doch welche geben, die ihr am Bauch passen, 80
ohne daß die Beine zu lang sind. Sie braucht etwas Bequemes, in dem sie sich nicht eingeengt fühlt, und sie haßt Trainingsanzüge.
Wie soll sie
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