Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
Vom Netzwerk:
Allendale gewesen sein, die von dem Mann, der nicht mein Mann war, fortge-gangen war, aber auch ihr Bild verfolgte mich, saß wie ein giftiger Stachel. Das mit Trippelschritten sich entfernende elfenbeinfarbene Kleid, im Einklang mit dem grandiosen Park, männerlockende scheue Göttin. Wie gern wollte ich diese Sirene auf den Klippen mit Ölschlieren befleckt sehen!
    Daheim keine Spur von Sebastian. Ein Treffen mit japanischen Kunden, hatte er gesagt. Ich mußte mit jemandem reden, selbst Mrs.
    Harrison wäre mir recht gewesen, aber wer springt schon so leicht über seinen eigenen Schatten. Mein Leben, mein rationales Ich, um das mal klarzustellen, sie waren entgleist, Opfer einer Art Paranoia geworden. Deshalb ging ich durch den Garten in sein Arbeitszimmer
    – nicht der direkteste Weg, das steht fest, aber aus Gründen, die ich nicht erklären kann und will, schon gar nicht rational, wollte ich aus der umgekehrten Perspektive sehen, genau welchen Ausschnitt des Nachbargartens er von seinem selten benutzten Adlerhorst aus eigentlich im Blick hatte. Es wurde jedoch schon dunkel. Ich konnte nicht mehr als einen Lichtkegel sehen, der aus der Spielecke am En-de der Küche kam und ein schwächeres Licht oben in Davids Atelier.
    Und zu hören war nichts als das Gurgeln eines Abflusses, eigenartig banales Stadtgeräusch.
    Das Arbeitszimmer meines Mannes wirkte verstaubt und kahl. Auf seinem Schreibtisch ein Adreßbuch mit Daten von Leuten, die mir unbekannt waren. In einer Vase am Fenster standen vertrocknete Blumen, und eine Wespe krabbelte sirrend vor einer der Fensterscheiben, erschöpft und doch zornig einen Ausgang suchend – sie wäre gestorben für die Freiheit. Ich wollte sie zerdrücken, war aber zu müde und lustlos, und sie wollte nicht sterben. Ich sah mich im 126
    Spiegel an der gegenüberliegenden Wand, wie ich nach der Wespe wedelte, sie zwischen meinem indischen Seidenschal und der Fensterscheibe gefangen hielt, aber unfähig fest genug zu drücken, bis ich das kleine knirschende Knacken vernehmen würde, das ihr endgültiges Aus angezeigt hätte. Sie sind zäh, die Biester. Schließlich machte ich das Fenster auf und ließ Schal und – wie ich hoffte –
    Wespe hinausfallen. Die Seide flatterte träge in den Garten hinunter, eine Fahne unbekannter Nation. Ich fühlte mich so bar jeder Hoffnung, so unfähig, so fett, so unbeholfen, daß ich auf der Fensterbank zusammensackte und weinte wie ein kleines Kind, aussichtslos.
    »Was’n los, Mama, was machst du denn da, was’n los?«
    »Du sollst doch schlafen, Kind… ich dachte, du schläfst!«
    »Tu ich aber nich«, stellte Mark mit unwiderlegbarer Logik fest.
    Da stand er in der Tür zum Arbeitszimmer, rieb sich die Augen wie ein kleiner blinder Igel, dem die eigenen Pfoten im Wege sind.
    »Schlafe nicht. Was machst du denn?«
    »Ich habe eine Wespe zerdrückt.«
    »Igitt! Aber deshalb mußt du doch nicht weinen. Kann ich einen Keks haben?« Sein erwachsen wirkender Gleichmut, diese Nüchternheit, die Dinge zu nehmen, wie sie sind – wie bewundernswert.
    Mir war, als sähe ich ihn zum erstenmal. »Und ein Glas Milch?«
    ergänzte er. »Nicht weinen, Mama.« Er zitterte vor Kälte – absichtlich übertrieben. »Hier is so kalt. Und überhaupt: Wespen sind eklig.
    Du kriegst was zu trinken, wenn ich einen Keks kriege. Zwei Kekse?«
    »Jeder mag Kekse«, zitierte ich den alten Mann aus dem Park.
    »Gibt welche, die keine mögen, jedenfalls nicht immer, aber ich schon«, überlegte er und zog seine Schlafanzughose wieder hoch, die sich wie ein Fächer um seine nackten Füße gelegt hatte. »Kekse sind schon in Ordnung. Sehr sogar. Kommst du jetzt runter?«
    Ich ließ mich von ihm führen, fort aus der trostlosen Stimmung des traurigen Endes der Wespe und aus dem kalten, leeren Arbeitszimmer seines Papas, folgte ihm hinunter an ein anderes Fenster, eines, das die Straße überblickte.
    »Ich gucke auch oft raus«, eröffnete mir Mark. »Und dann sagen sie: ›Mark, das gehört sich nicht, man gafft nicht.‹ Aber warum 127
    nicht?« fragte er folgerichtig, wohl wissend, daß ich darauf keine Antwort hätte. »Alle gaffen, immer gafft jemand.«
    »Manchmal«, gab jetzt ich ihm zu bedenken. »Das ist wie mit den Keksen.«
    »Scht!« machte er. »Guck mal, da ist der Mann.« Draußen entfernte sich der Obdachlose, der mir schon mehrmals auf unserer Straße begegnet ist. »Ich wollte mit ihm reden«, sagte Mark, »aber er kann nicht sprechen.«
    »Du sollst

Weitere Kostenlose Bücher