Im Kinderzimmer
Jenny beschwichtigend. Sie glaubte ihr kein Wort.
»Dann hat er erkannt, was du nicht sehen willst. Das Kleid ist eine Wucht. Sagen alle. Ich könnte platzen vor Neid. Glaub mir: Spiegel trügen, aber ich doch nicht. Wir sind doch Freundinnen, das weißt du doch.«
»Sind wir das?« fragte Katherine bange mit kläglicher Stimme.
»Wirklich?« Jetzt eine verläßliche Freundin, und die Welt sähe ganz anders aus!
»Aber ja, klar«, murmelte Jenny beschämt. »Nächste Woche mußt du mir das mal in aller Ruhe erzählen.« Das blasse Gesicht nickte ernsthaft und so voller Dankbarkeit, daß Jenny den stillen Vorsatz faßte, Katherine nie mehr allein zum Essen zu treffen. Und wenn sie einen ganzen Ballen Stoff anschleppte! Denn hinter der Dankbarkeit lauerten Erwartungen, höchst lästige, unwillkommene. In Jennys 134
Leben gab es keinen Platz für dergleichen, es war so schon schwierig genug: die Kinder eine Plage, der Mann streitsüchtig, das Auto hatte vorhin nicht anspringen wollen, und als sie bei ihrem Eintreffen bei Monica Trost gesucht hatte – nicht zum Ausweinen, sondern zum befreienden gemeinsamen Drüberlachen –, hatte sie feststellen müssen, daß ihre tonangebende Freundin, grünschillernd und radschla-gend wie ein Pfau, vollauf mit eigenen, privaten, undurchsichtigen Spielchen beschäftigt war und keine Zeit für sie hatte. Katherine würde die Kränkung dieses Abgeblitztseins nicht verstehen. Wer ließ auch schon Katherine abblitzen? Jenny tätschelte ihr den bloßen Arm und forderte sie munter auf: »Na, komm. Häng dich an mich dran, wir wollen etwas essen. Oder was du willst. Die Männer sind schrecklich, du mußt sie wie Babys behandeln, so mach ich’s. Geh hinaus und flirte wie wild. Wir sprechen morgen darüber, ja?«
Katherine nickte, sonderbar getröstet, und doch immer noch leicht verzagt, so daß sich Jenny noch schuldiger fühlte. »Flirten?«
»Klar, verdreh ihnen die Köpfe.«
Ihre Schuldgefühle vergaß Jenny, kaum hatten sie den Toiletten-raum verlassen. Katherine streute wahllos ihr Lächeln unters Volk wie Konfetti und vergaß ebenfalls. Ein Krumen Trost wurde zum Festschmaus. »Verdreh ihnen die Köpfe.« Dann war Flirten also erlaubt, Jenny hatte es gesagt. Sei ganz Frau, sei du selbst, laß dich bewundern. Zur Hölle mit David, zur Hölle mit dem allem. Die Musik umschmeichelte mit einem Mal ihre Ohren mit einem Tanzterras-sen-Swing, der sie an den Schick einer ihrer zahlreichen Pflegemütter erinnerte, einer Frau, der Katherine nachgeeifert hatte während der kurzen Gnadenfrist, in der sie von ihr unter die Fittiche genommen worden war. Sie hatte Lust zu tanzen! Der amerikanische Gastgeber kam herbeigesaust und ergriff ihre Hand, gern bereit, mit ihr über das Parkett zu schieben nach einem undefinierbaren Schritt, dem Katherine mühelos folgte, den Strom seiner unbeholfenen Komplimente mit hellem Lachen interpunktierend, alles um sich herum vergessend. Als er sie an Colin Neill abtrat, strahlte Katherines Lächeln heller als die Lüster im Saal.
Er hatte die Tränen bemerkt, das Verschwinden und die Rückkehr, denn er hatte sie die ganze Zeit beobachtet. Auch das Kokettieren 135
seiner Frau war ihm nicht entgangen; alles hatte er mit dem Spürsinn eines Klatschkolumnisten erfaßt. Colin wußte um seine Neigung, die vom schwachen Geschlecht ausgesandten Signale fehlzudeuten, gab jedoch die Hoffnung nicht auf, eines Tages den Code doch noch zu knacken – wie nach langer Übung die komplizierte Phrasierung eines anspruchsvollen Musikstücks. Katherine war jetzt so himmelhoch-jauchzender Stimmung, wie sie vor einer halben Stunde noch zu Tode betrübt gewesen war, das sah er wohl, doch die Botschaft ihres Kleids, ihres auffordernden Blicks und die angedeutete Zügellosig-keit kollidierten mit ihrer sonstigen Verhaltenheit, die ihm weit vertrauter war. Vielleicht wäre mehr Sekt der Ambivalenz förderlich; er holte ihr ein neues Glas, als sie das seine geleert hatte. Sie tranken still und stetig, hielten inne und registrierten unbekümmert, daß ihre jeweiligen Ehepartner miteinander in ein angeregtes Gespräch vertieft waren. Katherines Augen folgten Colins Blick, sie lauschte ihm und nickte, als er einen Spaziergang in den Anlagen vorschlug. Diese arg abgeschmackte Aufforderung milderte er mit einem Lachen. »So warm hier drinnen… sollen die klugen Köpfe dieselben zusammen-stecken, wir wollen die Blumen bewundern gehen, wie?«
Jenny sah zu, sie sah immer zu. Ihre
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