Im Kinderzimmer
tapsen-den Pfoten standen plötzlich still, und eine kleine Lache Urin breitete sich auf dem Fußboden aus und lief in einem Rinnsal über die schiefe Ebene des Küchenbodens. Matilda seufzte leise und floh in Rich-159
tung Tür. John grinste und schnalzte mehr bewundernd denn mißbilligend mit der Zunge. »So ein durchtriebenes Luder! Ungezogener Balg! Durchtrieben, jawohl. Das sollst du doch nicht, du freches Biest, sollst du gar nicht.« Das Kätzchen schien zu überlegen, schaute ihn erwartungsvoll an und setzte sich in die Lache. Er packte das kleine, nasse Tier und küßte es auf die Nase, selig lächelnd, mit freudig zuckendem Gesicht.
Matilda machte, daß sie rauskam. Im engen Hausflur stieß sie mit dem indischen Imbißbesitzer zusammen, dem sie in der Regel aus dem Weg ging. Er trat eben aus dem separaten Wohnungseingang, wie immer, wenn der Imbiß geschlossen war, was dann häufiger zu solchen Zusammenstößen führte. Sein Gesicht legte sich in die tausend Lachfalten, mit denen er alle Welt ohne Unterschied begrüßte.
»Schöner Tag heute«, sagte er, seine Standardbegrüßungs- sowie Abschiedsformel. Matilda rümpfte die Nase. Wenn sie nicht dem Gestank von Kat und den Kleinen ausgesetzt war, dann anderen An-griffen auf ihren Geruchssinn, den Gewürzen zum Beispiel, dem ranzigen Fett, diesen verdächtig fremdländischen Düften, die ihr aus Mr. Singhs Küche entgegenschlugen, als sie sich an ihm vorbei-zwängte.
»Sie hätten nicht zufällig Interesse an einer kleinen Katze, oder?«
fragte sie und schielte grimmig nach den prallen Einkaufstüten, die Mr. Singh bei sich trug, stellte sie sich voller wimmelnder Kätzchen vor und wandte den Kopf beim Sprechen angewidert vor seinem Mundgeruch ab – eine unauffällige Geste, die er dennoch bemerkte und überging.
»Bitte?«
»Ein Kätzchen, oder vielmehr drei.«
»O nein, Missus. Wir haben einen Rottweiler.« Er schaute sie ratlos an, überrascht, daß sie sich mit ihm abgab, ratlos auch angesichts des Gesprächsthemas.
» Was haben Sie?« Von ihren ein Meter siebzig blickte sie ungläubig auf seine ein Meter fünfzig herab. Hatte sie richtig gehört? Sie sah ihn vor ihrem inneren Auge mit einem Hund, zweimal so schwer wie er selbst. »Wo halten Sie den denn bloß?«
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»Zu Hause, im Augenblick«, erklärte er, immer noch verwirrt über das plötzliche Interesse der Dame von oben, die ihn doch ganz offensichtlich verachtete. »Wir bringen Rotty nur am Wochenende hierher. In den Hinterhof.« Er deutete auf die Tür. »Hinter der Küche, da draußen.« Er grinste. »Das wußten Sie nicht, wie? Er bellt überhaupt nicht, ein gutmütiges Tier normalerweise, aber wenn wir zuviele Betrunkene vorne im Imbiß haben, dann führen wir ihn ein wenig spazieren. Damit wir nicht verprügelt werden. Das kommt vor, wissen Sie.« Er gluckste irgendwie anzüglich. »Er beißt nicht, der Hund, er macht nur angst. Große Eier«, erklärte er.
»Ah«, machte Matilda unverbindlich. »Tatsächlich?«
Mist, dachte Jenny, und ich bin die Gelackmeierte! Warum bin ich nicht wie Monica: entschieden, oder vielmehr rücksichtslos. Die bringt es glatt fertig, sich im allerletzten Moment an die Strippe zu hängen und mich mit Katherine sitzen zu lassen, die Verabredung zum Essen abzusagen, mir mit irgendeiner Ausrede zu kommen, die ich schlucken soll, und das, wo ich genau weiß, daß ihre Arbeitsrou-tine immer Spielraum zum Essen läßt, weil mittags keiner da ist, mit dem sie reden müßte. Läßt mich also mit Katherine hängen, und weshalb? »Kann’s dir jetzt nicht lang und breit erklären«, hatte sie gesagt, in verdächtig munterem Ton, mit einer Leichtfertigkeit, die eigentlich fast beleidigend war, da sie so selbstverständlich annahm:
»Du hast doch sicher Verständnis, Jenny? Wir sehen uns morgen, Jen, Liebes, versprech ich dir, und sei mir nicht böse, bitte, daß könnte ich nicht ertragen, entschuldige mich bei Kate, tut mir leid.«
Mir erst! grummelte Jenny vor sich hin. Was soll das bloß geben? Da sitz ich dann und lasse Katherine ihr Herz ausschütten, und genau das, ich schwör’s, wird sie tun, steht kurz davor, mir »erschütternde«
Geheimnisse anzuvertrauen, wie die Tatsache, daß ihr ihr Kleid nicht gefällt und auch nicht die Einschränkungen, die wir wenigstens nicht kennen, etwa die Ausgehaltene zu sein, deren Garderobe die besser verdienende bessere Hälfte bezahlt. Doch im dichten Verkehr von Bloomsbury in die Bond Street unterwegs,
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