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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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war. Aus schlechtem Gewissen? Dabei sah sie so kerngesund aus, wie sie sich offenbar fühlte, und bot mir bei ihrer vorgebeugten Haltung die kaum mehr 154
    als handbreite Taille dar, mir, die ich mir nichts sehnlicher wünschte, als auf der Stelle drei Brotlaibe zu verschlingen und einen halben Liter Schnaps hinterherzukippen. Laß uns doch Freunde sein, schien sie zu betteln, das wünscht sie sich, auf ihre Art, schon lange, doch als wir endlich vor unseren benachbarten Häusern vorgefahren waren, drängte es mich, mich mit einer Kurzangebundenheit zu verabschieden, die hart an brüskierende Unhöflichkeit grenzte. Und zwar grundlos, wie mir nun scheint, oder aus dem einfachen Grund, daß sie sich bemühte, nett zu sein, weil sie die Doppelgängerin einer anderen war, weil sie ihr Leben so offensichtlich im Griff hatte wie mir meines entglitt.
    Sie sammelte ihre Kinder ein, ich blieb mit den meinen zurück. Ich betrachtete diese daumenlutschenden, sich selbst genügenden, mich kein bißchen brauchenden Wesen mit ratlosem Staunen. Mich braucht keiner. Ich habe mich selbst überflüssig gemacht.
    Motzmarie, Trotzmarie,
    wie steht’s um deinen Garten?
    Mit Glockenspiel und Muschelstein
    und Vögeln aller Arten.
    Samantha rekelte sich wohlig müde. Ich konnte die Augen nicht von ihr lassen, konnte gar nicht genug von ihr kriegen, empfand jedoch eine lähmende Scheu vor ihr und ging fort, um eine Bestandsaufnahme der Errungenschaften des Tages zu machen, meine Päckchen auszupacken, das tapfere neue Selbst im Spiegel zu begutachten.
    Gab es einen erkennbaren Unterschied? Ja, verdammt, gab es! Der beklemmenden Aura der Läden ledig, in denen ich sie erstanden hatte, entpuppten sich die beiden neuen Kleider als wahre Eröffnung: die dezenten Blumendrucke weit fröhlicher und frischer als alles, was ich besaß, der Teint des Gesichts im Spiegel klarer, jetzt, da das Puterrot des Fitneß-Centers abgeklungen war. Zwar schmerzten mich sämtliche Glieder, aber was zählte das schon? Der Muskelkater war Kondensat des Stolzes, es überlebt zu haben, und der beflügelnden Aussicht auf Wandlung, und wenn ich die Luft anhielt, das Kinn emporreckte und das Gesicht vom Licht abwendete, dann ließ sich ahnen, was ich aus mir machen könnte. Oder wieder werden könnte 155
    oder anstreben könnte oder was immer diese alberne Sehnsucht be-inhaltete: geliebt zu werden, vielleicht. Gar lieben zu können? Wie albern, ich hätte es damals nicht benennen können, wußte es nicht, wußte so erschreckend wenig. Ich war immer schon schwer von Begriff gewesen, was meine eigenen Fehler anbetraf, war außerstande zuzugeben, daß mir etwas fehlte.
    Also wieder hinunter, beschwingt. Irgendwelche Nachrichten, Mrs.
    Harrison, ehe ich wieder dem Verstand das Feld überlasse? Nein, keine, grummelte sie beleidigt, aber Mr. Thorpe sei früher nach Hause gekommen. Er habe eine Nachricht für mich in seinem Arbeitszimmer hinterlassen, irgend etwas wegen heute abend, keine Ahnung. Na, keine Eile. Als ich den Kindern gute Nacht gesagt hatte, bewunderte ich noch einmal das neue Kleid, studierte die mehrspra-chigen Anwendungshinweise der lächerlichen Gesichtscremes, mit einem enorm klaren Kopf, in ungeduldiger Erwartung eines Publikums. Mir fiel der Zettel in Sebastians Arbeitszimmer wieder ein, ihm gar nicht ähnlich, so etwas, und überhaupt, was war eigentlich mit ihm los in letzter Zeit, immer auf dem Sprung, beschloß, nachzu-schauen, dachte, nun, mein Lieber, ich werde dir sogar ein Abendessen kochen, du Glückspilz. Vielleicht nimmst du mich dann mal endlich zur Kenntnis, oder genauer genommen, ich dich. Bin gespannt, ob du den Unterschied merkst.
    Sebastian war offenbar anderer Meinung. Seine Botschaft? Eine ganze Seite. An den genauen Wortlaut erinnere ich mich nicht, denn ich riß den Brief in kleine Stücke. Absätze voller Bitten um Verzei-hung, Bekundungen von Bedauern, Vorschläge, uns zu treffen, die aber alle nicht den letzten Satz, die eigentliche Botschaft, den Klar-text, beschönigen konnten. Mein Mann verließ mich. Susan Pearson Thorpe wurde sitzengelassen.
    Ich vergoß keine Träne, als ich den Brief zerfetzte, empfand keine Empörung, war nicht überrascht, war nicht einmal traurig, spürte lediglich einen Schlag weit dumpfer als Schock. Ich blickte aus dem Fenster seines Arbeitszimmers in den Nachbargarten und dachte an die Wespe, die dort vorm Fenster gesummt hatte. Katherine und David Allendale in ihrem Garten gaben ein rührendes Bild

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