Im Koenigreich der Traeume
nicht untreu, sondern habe meine Gründe, wenn ich euch folgendes sage: Ich weiß, daß viele unserer Männer in der Schlacht mit dem Wolf gefallen sind. Aber in allen Kriegen müssen Menschen ihr Leben lassen - bedauerlicherweise. Man kann ihm persönlich nicht die Schuld an Alexanders Tod geben ...«
»Du wagst es, ihn in Schutz zu nehmen?« versetzte ihr Vater und sah sie an, als hätte sie sich vor seinen Augen in eine Schlange verwandelt. »Gilt deine Loyalität ihm und nicht uns?«
Jenny fühlte sich, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen, doch ihr war auch klar, daß die Empfindungen, die sie für ihren früheren Entführer hegte, rätselhaft und unverständlich waren, selbst für sie. »Ich trachte nur nach Frieden - für uns alle.«
»Jennifer«, begann ihr Vater streng, »offensichtlich kann ich dir die Demütigung nicht ersparen - du wirst dir anhören müssen, was dein zukünftiger Gemahl von dieser >friedvollen< Verbindung und von dir hält. In aller Öffentlichkeit hat er an Heinrichs Hof verkündet, er würde dich nicht einmal wollen, wenn du die Königin von Schottland wärst. Als er sich weigerte, der Hochzeit mit dir zuzustimmen, kündigte Heinrich ihm an, daß er in diesem Fall seinen gesamten Besitz der Krone übereignen müsse, und dennoch willigte er nicht ein. Erst als ihm der Tod am Galgen angedroht wurde, erklärte er sich schließlich einverstanden. Er nannte dich die Merrick-Schlampe und brüstete sich damit, daß er dich so lange prügeln würde, bis du dich seinen Wünschen unterwirfst. Seine Freunde plazieren bereits Wetten auf seinen Sieg in diesem Ehekampf und lachen, weil er behauptet, er würde dich gefügig machen, wie er Schottland gefügig gemacht hat. Das ist seine Einstellung zu dir und dieser Ehe. Das Ergebnis all dessen ist, daß du in England jetzt den Titel trägst, den er dir zugedacht hat: die Merrick-Schlampe!«
Jedes Wort traf Jennys Herz wie ein Peitschenhieb. Scham und Schmerz waren fast mehr, als sie ertragen konnte. Als der Earl of Merrick zum Ende kam, erfaßte sie eine gnädige, lähmende Benommenheit, die jegliche Empfindungen ausschaltete. Als sie schließlich den Kopf hob und in die von Erschöpfung gezeichneten Gesichter der tapferen Schotten sah, sagte sie mit schneidender Stimme: »Ich hoffe, die Dummköpfe haben ihr ganzes Vermögen auf ihn gesetzt.«
Kapitel fünfzehn
Jenny stand allein auf dem Balkon, schaute über das Moor, während der Wind spielerisch durch ihr langes Haar fuhr, und hielt sich an der Steinbrüstung fest. Die Hoffnung, daß ihr >Bräutigam< nicht zu dieser Hochzeit erscheinen würde, war vor ein paar Minuten endgültig erloschen, als die Burgwache die Ankunft von Reitern angekündigt hatte. Hundertfünfzig Menschen hoch zu Roß näherten sich der Zugbrücke. Das Licht der untergehenden Sonne spiegelte sich auf ihren polierten Schilden und verwandelte sie in schimmerndes Gold. Das Bild des Wolfs mit gefletschten Zähnen tanzte unheilvoll vor Jennys Augen -das Wappen Royce Westmorelands befand sich auf den blauen Bannern, wehte von den Pferdegeschirren und zierte die Umhänge der Reiter.
Mit derselben unbeteiligten Benommenheit, die sie seit fünf Tagen im Griff hielt, beobachtete sie, wie die Truppe sich den Burgtoren näherte. Jetzt erst entdeckte sie, daß auch Frauen unter den Neuankömmlingen waren und daß manche der Banner nicht das Wappen des Schwarzen Wolfs trugen. Man hatte ihr erzählt, heute abend seien auch englische Adlige anwesend, aber Damen hatte sie nicht erwartet. Ihr Blick wanderte zögernd zu dem breitschultrigen Mann, der die Truppe anführte - er trug keine Kopfbedeckung, keinen Schild und auch kein Schwert und saß auf einem großen schwarzen Hengst mit langer Mähne und dichtem Schweif. Dieses Pferd war offensichtlich ein Nachkömmling von Thor. Neben Royce hielt sich Arik, auch er ohne Rüstung und Waffen. Jenny verurteilte das als überhebliche Zurschaustellung ihrer Verachtung dem Merrick-Clan und dessen Schlagkraft gegenüber.
Sie konnte das Gesicht von Royce Westmoreland aus dieser Entfernung nicht sehen, aber als er darauf wartete, daß die Zugbrücke heruntergelassen wurde, spürte sie fast seinen Unmut und seine Ungeduld.
Als würde er merken, daß er beobachtet wurde, hob er plötzlich den Kopf und suchte mit Blicken die Fassade und das Dach der Burg ab. Ohne es selbst zu wollen, preßte sich Jenny an die Wand, um sich vor ihm zu verstecken. Angst. Die erste Empfindung, die seit fünf Tagen den
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