Im Koenigreich der Traeume
die Hand seiner Tochter unter seinen Arm und geleitete sie weiter, während sich der große Abstand zwischen den Schotten und den Engländern noch mehr verbreiterte, als sie näher kamen. Die Schotten zu ihrer Rechten betrachteten sie mit stolzen, ernsten Mienen und zeigten ihr Mitgefühl; die hochmütigen Engländer zu ihrer Linken fixierten sie feindselig. Direkt vor ihr verstellte der finstere Mann, der in Kürze ihr Gemahl werden sollte, ihr den Weg. Er hatte den Umhang über seine breiten Schultern geworfen, stand mit leicht gespreizten Beinen und über der Brust verschränkten Armen da und inspizierte sie, als wäre sie eine widerwärtige Kreatur, die auf dem Boden vor ihm kroch.
Diesem verächtlichen, angeekelten Blick konnte Jenny unmöglich standhalten, deshalb konzentrierte sie sich auf einen Punkt über seiner linken Schulter und überlegte aufgeregt, ob er wohl zur Seite treten und sie vorbeilassen würde, wenn sie zu dem Tisch ging. Ihr Herz hämmerte wild in ihrer Brust, und sie umklammerte fest den Arm ihres Vaters, um das Gleichgewicht zu wahren. Der Teufel vor ihr rührte sich nicht von der Stelle und zwang Jenny und den Earl mit voller Absicht, einen Bogen um ihn zu machen. Jenny fuhr der Schreck in die Glieder, weil ihr unwillkürlich klar wurde, daß dies nur die erste einer endlosen Reihe von Demütigungen war, die er ihr für den Rest ihres Lebens in aller Öffentlichkeit und privat antun würde.
Glücklicherweise hatte sie kaum Zeit, länger darüber nachzugrübeln, denn die nächste Tortur folgte auf dem Fuße - die Unterzeichnung des Ehevertrags, der auf dem Tisch ausgebreitet lag. Zwei Männer erwarteten sie, einer war der Gesandte König Jakobs, der andere der Gesandte von König Heinrich. Beide fungierten als Trauzeugen und sollten darauf achten, daß die Zeremonie rechtmäßig und ohne unliebsame Zwischenfälle ablief.
Jennifers Vater blieb vor dem Tisch stehen und löste ihre kalte Hand von seinem tröstlichen Arm. »Der Barbar«, erklärte er laut und vernehmlich, »hat das Schriftstück bereits unterzeichnet.«
Bei diesen Worten schien die knisternde Spannung im Raum Gefahr zu laufen, sich in Handgreiflichkeiten zu entladen, doch es geschah nichts, außer, daß die Haltung der bewaffneten Männer noch abwehrender, starrer und die Blicke der Anwesenden noch böser wurden. In stummer Rebellion fixierte Jenny das Pergament, das all die Worte enthielt, die sie trotz der üppigen Mitgift zu einem düsteren, freudlosen Leben als Frau und Sklavin eines Mannes verdammte, den sie ebensosehr verabscheute wie er sie. An den unteren Rand hatte der Duke of Claymore -ihr ehemaliger Entführer und jetziger Kerkermeister - mit großzügigen Buchstaben seine Unterschrift gesetzt.
Neben dem Pergament befanden sich Federkiel und Tintenfaß, und obwohl sich Jenny dazu zwingen wollte, die Feder zu berühren, versagte ihr die zitternde Hand den Gehorsam. Jakobs Gesandter trat eilfertig einen Schritt vor, und Jenny sah ihn hilflos und jämmerlich an.
»Mylady«, sagte er verständnisvoll und mit ausgesuchter Höflichkeit, die den Engländern in der Halle deutlich machen sollte, daß Lady Jennifer die ganze Hochachtung des schottischen Königs genoß, »Seine Majestät, König Jakob von Schottland, hat mich gebeten, Euch seine besten Wünsche zu übermitteln und Euch zu sagen, daß ganz Schottland schwer in Eurer Schuld steht, weil Ihr dieses Opfer für Euer geliebtes Vaterland auf Euch nehmt. Ihr macht dem großen Clan der Merricks und Schottland alle Ehre.«
Hatte er das Wort >Opfer< besonders betont? fragte sich Jenny benommen, aber der Gesandte hatte den Federkiel bereits in die Hand genommen und reichte ihn ihr.
Wie durch einen Nebel beobachtete sie, daß ihre Finger danach griffen und sie ihren Namen unter das abscheuliche Dokument setzte, aber als sie sich aufrichtete, konnte sie den Blick nicht von dem Vertrag wenden. Unverwandt starrte sie auf ihren Namen, den sie in der schönen Gelehrtenschrift geschrieben hatte, die ihr Mutter Ambrose beigebracht und mit ihr geübt hatte. Die Äbtissin! Mit einemmal konnte und wollte sie nicht glauben, daß der liebe Gott wirklich zulassen würde, daß ihr so etwas Schreckliches widerfuhr. Gott hatte bestimmt gesehen, daß sie die langen Jahre im Kloster fromm, gehorsam und ehrerbietig verbracht hatte ... nun, wenigstens hatte sie sich angestrengt, fromm, gehorsam und ehrerbietig zu ein. »Bitte, lieber Gott...« wiederholte sie immer und immer wieder,
Weitere Kostenlose Bücher