Im Koenigreich der Traeume
einmal in Claymore hat, treibt er ihr die Flausen schon aus.«
Jenny wandte den Blick von den Narren ab und sah ihren Vater an, der zu ihrer Linken saß. Stolz erfüllte sie, als sie sein aristokratisches, bärtiges Gesicht betrachtete. Er hatte Würde und hielt sich großartig. Immer wenn sie zugesehen hatte, wie er in der großen Halle zu Gericht saß und sich Berichte über die Streitigkeiten, die hin und wieder unter den Leuten aufkeimten, anhörte, war ihr unweigerlich der Gedanke gekommen, daß Gott wie er aussehen mußte, wenn er auf seinem Thron saß und über die armen Seelen richtete, die früher oder später alle zu ihm kamen.
Trotzdem schien ihr Vater heute in einer eigenartigen Stimmung zu sein - kein Wunder, wenn man die Umstände bedachte. Schon die ganze Zeit, während er mit den anderen Clanführern in der Halle geredet und getrunken hatte, machte er einen angespannten und geistesabwesenden Eindruck, aber seltsamerweise auch einen vergnügten. Irgend etwas verschaffte ihm augenscheinlich Befriedigung. Als Lord Merrick Jennifers Blick spürte, wandte er sich ihr zu, und musterte mitfühlend ihr blasses Gesicht. Er beugte sich so nah zu ihr, daß sein Bart ihre Wange kitzelte, und flüsterte ihr eindringlich, aber so leise ins Ohr, daß niemand sonst ihn hören konnte: »Quäl dich nicht, mein Kind. Laß den Mut nicht sinken, alles wird wieder gut.«
Diese Bemerkung erschien ihr derart absurd, daß Jenny nicht wußte, ob sie lachen oder heulen sollte. Als der Lord sah, daß sich ihre blauen Augen vor Angst weiteten, ergriff er ihre kalte Hand, mit der sie sich an der Tischkante festklammerte, als könnte sie ihr das Leben retten. Die warme Berührung wirkte tröstlich, und Jenny brachte ein schwaches Lächeln zustande.
»Vertrau mir«, sagte er, »morgen ist alles vorbei.«
Ihr Herz wurde bleischwer. Morgen war alles zu spät. Vom nächsten Tag an war sie bis in alle Ewigkeit mit dem Mann verheiratet, der an ihrer Seite saß und neben dem sie sich kümmerlich und unwichtig vorkam. Sie schielte schnell zu ihrem Verlobten, um sich viel zu spät zu vergewissern, ob er die geflüsterte Unterhaltung mitbekommen hatte. Aber seine Aufmerksamkeit galt ganz anderen Dingen - nicht mehr der hübschen Akrobatin, sondern irgend jemandem am anderen Ende des Saals.
Neugierig folgte Jenny seinem Blick und entdeckte Arik, der gerade hereinkam. Der blonde, bärtige Hüne nickte Royce einmal zu. Bei einem kurzen Seitenblick stellte Jenny fest, daß Royce die Zähne aufeinander biß und kaum merklich den Kopf neigte, ehe er sich seelenruhig wieder der Akrobatin zudrehte. Arik wartete einen Moment, dann schlenderte er unauffällig zu Stefan, der übertrieben großes Interesse an den Dudelsackpfeifern zeigte.
Jenny spürte, daß wortlos Nachrichten ausgetauscht worden waren, und das machte sie noch unruhiger, besonders nach dem, was ihr Vater soeben geäußert hatte. Etwas war geschehen, das wußte sie - aber was? Ein todernstes Spiel war im Gange, und Jenny fragte sich, ob ihre Zukunft vom Ausgang dieses Spiels abhing.
Sie konnte den Lärm und diese Ungewißheit nicht mehr länger ertragen und beschloß, sich in ihr stilles Kämmerlein zurückzuziehen und darüber nachzudenken, ob sie sich vielleicht doch noch Hoffnungen machen konnte.
»Papa«, sagte sie hastig, »ich bitte dich um die Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen. Ich möchte versuchen, in meinem Zimmer ein wenig Ruhe und Frieden zu finden.«
»Natürlich, meine Liebe«, entgegnete er sofort. »Du hattest sehr wenig davon in deinem kurzen Leben, aber genau das brauchst du jetzt am meisten, nicht wahr?«
Jenny zögerte den Bruchteil einer Sekunde, weil sie ahnte, daß hinter dieser Antwort mehr steckte als nur Freundlichkeit und Fürsorge, aber da sie die wahre Bedeutung nicht verstand, nickte sie nur und stand auf.
In dem Augenblick, in dem sie sich bewegte, drehte Royce den Kopf zu ihr um, obwohl sie hätte schwören können, daß er den ganzen Abend ihre Anwesenheit gar nicht bemerkt hatte.
»Schon im Aufbruch?« fragte er und musterte dreist ihren Busen. Jenny erstarrte, als er den Blick hob und sie den zornigen Ausdruck in seinen Augen wahrnahm. »Soll ich dich zu deinem Zimmer bringen?«
Mit größter Mühe zwang Jenny ihren Körper, sich in Bewegung zu setzen und richtete sich zu voller Größe auf - sie weidete sich regelrecht daran, endlich einmal auf ihn herunterschauen zu können.
»Kommt nicht in Frage«, versetzte sie. »Meine Tante
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