Im Koenigreich der Traeume
schwach gegen ihre Tante und nickte stumm. Seit ihr Vater den Vorschlag machte, Tante Elinor sollte sie nach England begleiten, hatte sich Jenny nur auf diesen einzigen Lichtblick an ihrem düsteren Horizont konzentriert.
Die Großtante nahm das tränennasse Gesicht ihrer Großnichte zwischen die Hände und fuhr entschlossen fort: »Aber jetzt bin ich hier, und ich hatte eine Unterredung mit deinem Vater. Ich bin hier und werde für immer bei dir bleiben. Ist das nicht schön? Wir werden wundervolle Zeiten miteinander erleben. Auch wenn du diesen gräßlichen Engländer heiraten und bei ihm wohnen mußt - wir werden ihn einfach vergessen und so viel Spaß haben wie früher, bevor mich dein Vater nach Glencarin aufs Witwenteil verbannt hat. Nicht, daß ich ihm Vorwürfe mache, weil ihm mein Schwatzen zuviel wurde, aber ich fürchte, es ist jetzt noch schlimmer geworden. Ich war so lange von meinen Lieben getrennt und hatte keine Menschenseele, mit der ich reden konnte.«
Jenny sah sie nach dieser langen, atemlosen Ansprache ein wenig verwirrt an, dann lächelte sie und umarmte die alte Tante ihrer Mutter.
Beim Festmahl saß Jenny auf dem Podium an dem langen Tisch und starrte über die dreihundert schmausenden Gäste hinweg auf die andere Seite der Halle. Neben ihr, fast so nah, daß sich ihre Ellbogen berührten, saß der Mann, mit dem sie durch den Ehevertrag ebenso unwiderruflich verbunden war wie durch die formelle Hochzeitszeremonie, die am morgigen Tag stattfinden sollte. In den letzten zwei Stunden, in denen sie gezwungen gewesen war, an diesem Platz auszuharren, hatte sie nur dreimal seinen eisigen Blick gespürt. Es war, als könnte er nicht einmal ihren Anblick ertragen, als würde er nur darauf warten, sie endgültig in seine Klauen zu bekommen, damit er ihr das Leben zur Hölle machen konnte.
Ihr drohte eine Zukunft voller Beschimpfungen und körperlicher Züchtigungen - selbst bei den Schotten war es üblich, daß Männer ihre Frauen schlugen, wenn sie glaubten, ihnen Gehorsam und Anstand beibringen zu müssen, das wußte Jenny. Zudem kannte sie das Temperament und den Ruf des zornigen Menschen an ihrer Seite, und sie war sicher, daß das Leben für sie nur noch Elend und Kummer bereit hielt. Die Enge in ihrer Kehle, die sie schon den ganzen Tag zu ersticken drohte, schnürte ihr jetzt regelrecht die Luft ab. Sie versuchte fieberhaft, an etwas zu denken, worauf sie sich freuen konnte. Tante Elinor würde bei ihr sein, rief sie sich ins Gedächtnis. Und eines Tages - schon bald, wenn sie in Betracht zog, was sie über die Begierden ihres zukünftigen Mannes wußte - würde sie Kinder haben, die sie lieben und umsorgen konnte. Kinder. Sie schloß kurz die Augen, atmete gequält durch und spürte, wie die Last auf ihrer Brust ein wenig leichter wurde. Auf ein Baby, das sie in den Armen halten und liebkosen würde, konnte sie sich freuen. Sie nahm sich vor, sich an diesen Gedanken zu klammem, was auch mit ihr geschah.
Royce griff nach seinem Weinkelch, und sie musterte ihn heimlich aus den Augenwinkeln. Säuerlich stellte sie fest, daß er eine besonders hübsche Akrobatin, die im Handstand über ein Bett von scharfen Schwertspitzen balancierte, eingehend betrachtete. Ihre Röcke waren an den Knien zusammengebunden, so daß sie ihr nicht über den Kopf fielen - durch diese Maßnahme wurden ihre wohlgeformten Beine vom Knöchel bis zum Knie sichtbar. Auf der anderen Seite des Saales turnten und hüpften Narren mit spitzen Schellenhüten vor den Gästen herum. Mit dem bunten Unterhaltungsprogramm und der verschwenderischen Mahlzeit zeigte Jennys Vater auf seine Art den verhaßten Engländern, daß die Merricks ein angesehener und wohlhabender Clan waren.
Angewidert von Royces offenkundiger Bewunderung für die Akrobatin mit den hübschen Beinen, griff Jenny nach ihrem Silberbecher, tat so, als würde sie trinken, nur um den boshaften, geringschätzigen Blicken der Engländer zu entgehen, die sie den ganzen Abend nicht aus den Augen ließen. Nach den Kommentaren zu schließen, die sie mit angehört hatte, wurde sie als vollkommen unzureichend und minderwertig beurteilt. »Seht Euch nur ihr Haar an«, kicherte eine Frau. »Ich dachte, nur Pferde hätten Mähnen mit einer solchen Farbe.« - »Oh, dieses hochnäsige Gesicht!« rief ein Mann, als Jenny mit hocherhobenem Haupt und Magenkrämpfen an ihm vorbeiging. »Royce wird sich diese arroganten Allüren bestimmt nicht gefallen lassen. Wenn er sie erst
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