Im Koenigreich der Traeume
die Halle verließen. Aus den Augenwinkeln hatte er die Klinge, die aus der Scheide gezogen wurde, aufblitzen sehen, und instinktiv reagiert. Hätte er mehr Zeit zum Nachdenken gehabt und wäre ihm William nicht so verdammt nahe gewesen, hätte er nicht reflexartig, dafür aber mit wesentlich mehr Umsicht gehandelt.
Im Nachhinein erinnerte er sich sehr gut daran, daß er den jungen Mann erst genau in Augenschein genommen hatte, ehe er ihn eingeladen hatte, zu Jennifer ins Zimmer zu gehen. Er hatte William als harmlosen und friedfertigen Jungen eingeschätzt.
Royce hob die Hand und preßte Daumen und Zeigefinger an seinen Nasenrücken, dann machte er die Augen zu, aber gegen die Wahrheit konnte er sich nicht verschließen: Entweder hatte ihn sein erster Eindruck, daß William keine Bedrohung darstellte, getäuscht, oder er hatte gerade einen jungen Mann getötet, der nur seinen Dolch aus Vorsicht und Angst, überrumpelt zu werden, gezogen hatte.
Royces Zweifel steigerten sich zu unerträglichen Schuldgefühlen. Er hatte sein ganzes Leben damit zugebracht, Männer und die Gefahr, die von ihnen ausgehen könnte, einzuschätzen, und er hatte sich noch nie geirrt. Heute abend hatte er William als harmlosen jungen Mann beurteilt.
Kapitel dreiundzwanzig
In der folgenden Woche sah sich Royce der ersten Mauer gegenüber, die er nicht einreißen oder überwinden konnte - der Mauer aus Eis, die Jennifer um sich errichtet hatte, um sich gegen ihn abzuschirmen.
In der vorletzten Nacht war er zu ihr gegangen, in dem Glauben, daß seine Liebe und Leidenschaft das Eis zum Schmelzen bringen würde. Doch auch das hatte nichts bewirkt. Sie hatte sich nicht gegen ihn gewehrt, sondern nur das Gesicht von ihm abgewandt und die Augen fest geschlossen. Als er ihr Bett verließ, fühlte er sich wie das Tier, das sie in ihm sah. Gestern Abend hatte er in seiner Wut und Verzweiflung versucht, mit ihr über William zu sprechen, und sich sogar nach einem Streit gesehnt, weil er hoffte, daß ein Wutausbruch dort Erfolg bringen könnte, wo die Liebe versagt hatte. Doch Jennifer war über den Punkt des Streitens und Tobens hinaus; in reserviertem Schweigen ging sie in ihr Zimmer und verriegelte die Tür.
Jetzt saß sie neben ihm am Tisch, und er warf ihr immer wieder einen Blick zu, aber ihm fiel nichts ein, was er zu ihr oder zu irgend jemandem sonst sagen könnte. Das blieb ihm auch erspart, weil seine Ritter das Schweigen zwischen ihm und Jennifer längst bemerkt hatten und die angespannte Situation mit erzwungener Fröhlichkeit zu überspielen versuchten. Genaugenommen waren die einzigen am Tisch, die nichts von der unguten Atmosphäre mitzubekommen schienen, Arik und Tante Elinor.
»Wie ich sehe, hat allen mein Wildragout geschmeckt«, stellte Tante Elinor strahlend fest und betrachtete die leeren Schüsseln - offensichtlich war ihr nicht aufgefallen, daß Jennifer und Royce kaum etwas gegessen hatten. Ihr Lächeln verblaßte jedoch, als ihr Blick auf Arik fiel, der wieder eine Gans vertilgte. »Ihr seid die einzige Ausnahme, mein lieber Junge«, sagte sie mit einem Seufzer. »Ihr seid nun wirklich der allerletzte, der gebratene Gans essen sollte. Das wird Eure Probleme erheblich verschlimmern, das habe ich Euch schon mehrmals erklärt. Ich habe dieses leckere Wildragout extra für Euch gekocht, und Ihr wolltet es nicht einmal anrühren.«
»Achtet nicht darauf, Mylady«, schaltete sich Sir Godfrey ein, dann schob er seinen Teller beiseite und tätschelte seinen flachen Bauch. »Wir haben es gegessen, und es war köstlich.«
»Ausgezeichnet«, bekräftigte Sir Eustace begeistert.
»Wunderbar«, grölte Lionel.
»Superb«, stimmte Stefan Westmoreland mit einem besorgten Blick auf seinen Bruder zu.
Nur Arik schwieg eisern wie immer.
In dem Moment, in dem Tante Elinor aufstand und hinausging, fuhr Godfrey Arik wütend an: »Du hättest wenigstens davon kosten können. Du hast ja gehört, sie hat es speziell für dich zubereitet.«
Bedächtig legte Arik das Gänsebein auf den Teller und drehte Godfrey den riesigen Kopf zu, seine blauen Augen funkelten so kalt, daß Jenny unwillkürlich die Luft anhielt und auf einen Gewaltausbruch wartete.
»Schenkt ihm keine Beachtung, Lady Jennifer«, empfahl Godfrey, als er ihr Unbehagen bemerkte.
Nach dem Essen verließ Royce die Halle und verbrachte ohne jede Notwendigkeit eine Stunde mit den Wachen auf dem Burgwall. Als er zurückkam, saß Jennifer am Kamin und unterhielt sich mit seinen
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