Im Koma
zu ziehen. Nach mehreren frustrierenden wie fruchtlosen Minuten gab Casey auf. Tränen schössen ihr in die Augen, als sie zur Decke starrte.
Wenn sie es nur schaffen könnte, das Bett zu verlassen. Wenn sie das Telefon erreichen und den Notruf wählen könnte. Selbst wenn sie kein Wort herausbrachte, würde die Polizei alarmiert und eine Streife losgeschickt werden. Irgendjemand würde kommen. Irgendjemand würde sie retten.
Aber wie sollte sie aus dem Bett kommen, wenn sie sich nicht einmal auf die Seite drehen konnte, wenn alle wichtigen Muskeln nach monatelanger Inaktivität zurückgebildet waren, wenn sie kraftlos war wie ein Säugling?
Es muss einen Weg geben.
Sie konnte nicht einfach nur daliegen und tatenlos darauf warten, dass ein Fremder sie kaltblütig erstickte. Warren hatte gesagt, dass ihr noch ein paar Stunden blieben. Mit einer konzentrierten Kraftanstrengung musste es ihr doch gelingen, zum Telefon und aus diesem Haus zu kommen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit gelang es Casey schließlich, ihren Kopf ein paar Zentimeter zur Seite zu wenden. Langsam beobachtete sie, wie das Zimmer vor ihren Augen verrutschte und das strahlende Blau des Himmels dem gedämpften Lila der Vorhänge und dem blassen Violett der Wände Platz machte. Sie reckte sich weiter, und ihr Blick schweifte über den Plasmafernseher an der gegenüberliegenden Wand zu dem gestreiften Sessel, bevor er schließlich auf dem Nachttisch verharrte, als ihre Wange das Kissen berührte. Ich habe es geschafft, dachte sie und las die Uhrzeit auf dem Digitalwecker. 11:15 verkündeten die großen, leuchtenden, roten Ziffern.
Sie hatte noch reichlich Zeit, beruhigte Casey sich und begann die mühsame Prozedur von Neuem, kämpfte gegen Schwindel und Unwohlsein an, während sie ihren Kopf auf dem Kissen in die Ausgangsposition zurückdrehte.
Sie musste sich nur aus diesem Bett erheben, das Telefon packen und den Notruf wählen.
Sie tippte die Nummer mit den Fingern schon mühsam in die Luft, als sie den Kopf zu dem Telefon auf dem Nachttisch zu ihrer Rechten wendete. Dabei sah sie den Nachttisch neben dem Bett ihrer Mutter vor sich und fragte sich, ob die Pistole ihrer Mutter immer noch in der obersten Schublade lag, wo jene sie immer aufbewahrt hatte.
War das möglich?
Niemand hatte das Zimmer bewohnt, bevor Warren dorthin umgezogen war.
Drew hatte immer davor zurückgeschreckt, die persönlichen Dinge ihrer Eltern anzutasten, weil sie es irgendwie makaber fand. Lange Zeit hatte sie deshalb einen weiten Bogen um das Schlafzimmer gemacht, bis es irgendwann nicht mehr dringlich schien. Irgendwann würden sie schon dazu kommen, hatte sie sich gesagt. Sie hatten ja alle Zeit der Welt.
Und jetzt war ihre Zeit abgelaufen, wie ihr klar wurde, während sie versuchte, sich aufzurichten, und spürte, wie jeder Muskel ihres Körpers dagegen protestierte und die Kooperation verweigerte. Außerdem, selbst wenn die Waffe noch im Haus wäre und sie sie in die Hände bekommen könnte, hätte sie auch die nötige Kraft abzudrücken?
Und wenn ja, würde ihr Gewissen es zulassen?
O mein Gott, dachte Casey, als ihr Blick wieder auf den Wecker neben ihrem Kopf fiel -11:52 zeigten die Ziffern an. Das konnte nicht stimmen. Nie im Leben konnte eine halbe Stunde vergangen sein, seit sie zum letzten Mal nachgesehen hatte. Nie im Leben konnte es so lange gedauert haben, so wenig zu erreichen.
Was soll ich tun? Würde mir irgendjemand bitte sagen, was zum Teufel ich machen soll?
Du versuchst es immer weiter, sagte sie sich, als das Telefon zu klingeln begann. Einmal, zweimal, dreimal. Streck die Hand aus, und nimm den verdammten Hörer ab. Viermal. Fünf. Hallo?Hallo? Aber während Casey noch den Arm reckte, verstummte das Klingeln wieder.
Das ist nicht fair. Das ist nicht fair.
»Oh, werd erwachsen«, hörte sie Janine aus einem entlegenen Winkel ihres Hirns schimpfen. »Wer hat behauptet, das Leben sei fair?«
»Glaubst du, ich war bereit zu sterben?«, fragte ihr Vater.
»Glaubst du, mir hat es gefallen, ins kalte Wasser der Chesapeake Bay zu stürzen?«, wollte ihre Mutter wissen.
»Mein Mann ist sehr jung an Leukämie gestorben«, erinnerte Gail sie. »Wie fair ist das?«
Ihr habt ja recht, räumte Casey stumm ein und drehte ihren Kopf wieder in die Ausgangslage. Gerechtigkeit und Fairness waren nie Faktoren der Gleichung gewesen. Wenn man in schlechten Zeiten fragte »Warum ich?«, sollte man sich dieselbe Frage auch stellen, wenn es gut lief. Am Ende
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