Im Koma
fragte sich, ob seine Augen geschlossen waren, und musste den Drang unterdrücken, ihre zu öffnen.
»Ich werde unsere kleinen Gespräche wirklich vermissen«, sagte er.
Casey lag die restliche Nacht mit offenen Augen wach und weigerte sich, den Schwindelgefühlen und ihrer Müdigkeit nachzugeben, während sie darauf lauschte, wie die große Standuhr in der Halle alle Viertelstunde schlug. Sie beobachtete, wie der Mond fahler wurde und die Tintenfarbe des Himmels pastelligeren Tönen wich. Sie sah zu, wie das blasse
Blau des frühen Morgens sich gegen sieben in ein stählernes Grau verwandelte, als dunkle Wolken aufzogen, die Regen verhießen. Als sie Warren eine Stunde später unter der Dusche singen hörte »By the time Iget to Phoenix, she '11 he sleeping...«, zuckten Blitze wie von einem Karikaturisten gezeichnet am Himmel, und Donnergrollen erfüllte das Zimmer.
Eine Sound-&-Light-Show nur für mich, dachte Casey und genoss das Spektakel trotz allem. Oder vielleicht gerade deswegen. Wann hatte sie zum letzten Mal mit solcher Freude beobachtet, wie Regen ans Fenster prasselte? Sie dachte an Drew und fragte sich, ob sie noch schlief oder ob Blitz und Donner sie geweckt hatten.
Drew hatte immer schreckliche Angst vor Gewittern gehabt. Als sie noch klein waren, war sie immer mitten in der Nacht in Caseys Bett gekrochen, hatte sich unter der Decke versteckt und sich an Casey geklammert, wenn der Donner gekracht hatte. Und Casey hatte ihren Kopf geküsst und ihr versichert, dass das Gewitter bald aufhören würde. Drew war jedes Mal in dieser Position eingeschlafen, während Casey wach gelegen und ihre Schwester bewacht hatte, bis das Gewitter wirklich abgeflaut war. Am Morgen war Drew dann wortlos aus ihrem Bett gestiegen und in ihr Zimmer zurückgekehrt, ohne dass ihr Stolz ihr auch nur die Andeutung eines flüchtigen Dankeschöns erlaubt hätte. Als sie älter und einander zunehmend fremder wurden, hatte Drew irgendwann ganz aufgehört, in Caseys Zimmer zu kommen, und stattdessen andere Betten und tröstende Arme gefunden.
Das Telefon klingelte.
Casey hörte, wie Warren in seinem Schlafzimmer abnahm. »Ja, hier ist Warren Marshall. Genau. Wir erwarten Sie. Gibt es ein Problem?« Nach einer kurzen Pause: »Nun. Kein Wunder bei dem Wetter. Nein, da stecken Sie wohl einfach fest. Hoffentlich räumt die Polizei die Unfallstelle bald. Gut. In Ordnung. Bis dahin sollte ich allein mit Casey zurechtkommen. Ja, da kann man nichts machen. Kommen Sie, so schnell es geht.« Kurz darauf stand er in der Tür von Caseys Schlafzimmer und verkündete: »Unfall auf dem Schuylkill Expressway.«
Wegen des Donners hatte Casey ihn nicht kommen hören und keine Zeit gehabt, die Augen zu schließen. Bitte, komm nicht rein, betete sie. Sieh mich nicht an.
»Die Krankenschwester steht vor der Abfahrt Rosemont im Stau. Offenbar ist die Polizei gerade dabei, die Straße wieder freizuräumen.«
Aus den Augenwinkeln sah Casey, wie er den Kopf schüttelte.
»Ich weiß nicht, was die Leute haben, wenn es mal ein kleines bisschen regnet«, sagte er, begleitet von erneutem lautem Donnerkrachen. »Sie vergessen, wie man Auto fährt. Aber in der nächsten halben Stunde sollte sie hier sein. So lange kannst du doch noch mit dem Essen warten, oder?«
Das Telefon klingelte wieder.
»Wahrscheinlich noch mal Schwester Friedlander«, sagte er und ging zu dem Nachttisch, während Casey die Augen schloss. »O hallo, Drew«, sagte er kurz darauf mit einer Stimme so sanft wie Kaschmir. »Ja, ich sehe, was hier draußen abgeht. Ziemlich grauenhaft. Und laut Wetterbericht wird es noch schlimmer. Aber die gute Nachricht ist, dass es am späten Abend aufklaren soll, sodass unserem Ausflug nach Gettysburg nichts im Wege stehen sollte. Nein, heute würde ich an deiner Stelle auch nicht fahren. Natürlich. Das verstehe ich absolut. Das würde ich bei dem Wetter auch nicht machen. Mach dir deswegen keine Sorgen, Drew. Wir essen morgen Pizza. Unbedingt. Ich ruf dich später an und erstatte detailliert Bericht. Okay. Mach dir keine Sorgen, und gib Lola einen dicken Kuss von mir... Ja, sag ihr, ich freue mich auch.« Er legte auf.
»Das war deine Schwester«, sagte er, ließ sich in den Sessel neben Caseys Bett sinken und schaltete den Fernseher ein. »Sie kommt heute nicht vorbei.«
KAPITEL 30
»Nun, Mrs. Marshall, wie geht es Ihnen an diesem wunderschönen Sonntagmorgen?«, fragte eine freundliche weibliche Stimme. »Hat Sie das Gewitter gestern
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