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Im Koma

Titel: Im Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
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hat Sie glatt angelogen?«
    »Nun, das war es ja gerade. Er hat nicht direkt gelogen. Er hat seine Worte sehr sorgfältig gewählt. Er sagte, ich würde im Inland stationiert, und das wurde ich auch - für ein halbes Jahr.
    Er sagte, ich würde wohl kaum zu einem Auslandseinsatz abkommandiert werden und höchstwahrscheinlich nicht in direkte Kampfhandlungen verwickelt werden...«
    »Aber Sie wurden zu einem Auslandseinsatz abkommandiert und haben Kampfhandlungen erlebt.«
    »Ja.«
    »Hatten Sie Angst?« »Ja.«
    Drew senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Haben Sie jemanden getötet?«
    Eine lange Pause. »Ja.«
    »Das muss schrecklich gewesen sein.«
    »Ja«, sagte er noch einmal.
    Casey spürte, wie er über ihren Körper hinweg nach seiner Kaffeetasse griff, und hörte, wie er langsam einen Schluck trank.
    »Ich glaube nicht, dass ich jemanden töten könnte.«
    »Sie wären erstaunt, wozu Sie in der Lage sind. Vor allem, wenn jemand versucht, Sie zu töten.«
    »Wie lange waren Sie dort?«
    »Dreiundzwanzig Monate, eine Woche und fünf Tage. Aber wer zählt schon mit?« Er versuchte zu lachen, doch das Lachen blieb ihm im Hals stecken. Er trank noch einen Schluck Kaffee. »Als ich nach Hause kam, hatte meine Frau mich im Prinzip schon abgehakt. Wir haben es zwar noch mal versucht, aber es hat nicht geklappt. Später habe ich erfahren, dass sie mehr oder weniger fest mit einem anderen Mann zusammengelebt hatte, während ich weg war. Aber das ist jetzt vorbei. Es hat keinen Sinn, über Dinge zu jammern, die man nicht ändern kann.« Er wandte sich wieder Caseys Füßen zu. »Was ist mit Ihnen?«
    »Mit mir?«
    »Wie läuft es so bei Ihnen?«
    Casey stellte sich vor, wie Drew die Achseln zuckte. »Ich schätze, ich bin immer noch nicht angekommen.«
    »Sie wissen noch nicht recht, was Sie machen möchten, wenn Sie groß sind?«, fragte Jeremy. »Ist das nicht schrecklich? Ich sollte es wissen. Ich bin fast dreißig. Ich habe ein Kind.« »Sie werden es schon herausfinden.«
    »Glauben Sie?«
    »Ich weiß es.«
    »Nun, vielen Dank für Ihr Vertrauen. Das ist wirklich sehr nett.« »Nichts zu danken.«
    »Darf ich Sie noch etwas fragen?«, fuhr Drew zögernd fort. »Nur zu.«
    »Wie ist es, jemanden zu töten?«
    Nach längerem Schweigen sagte Jeremy: »Ich bin nicht sicher, ob ich das beantworten kann.«
    »Tut mir leid«, entschuldigte Drew sich eilig. »Es geht mich nichts an. Ich hätte nicht fragen sollen.«
    »Nein, die Frage ist nicht das Problem. Ich weiß nur wirklich nicht, wie ich sie beantworten soll. Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, wie es sich anfühlt. Ich hatte solche Angst.« Er hielt inne und trank noch einen Schluck Kaffee. »Man ist in einem fremden Land, spricht die Sprache nicht und weiß gar nichts über die verdammten Taliban. Man weiß nur, man ist weit weg von zu Hause und soll diesen Leuten, die versuchen, einem den Kopf wegzublasen, die Demokratie bringen. Bomben gehen hoch, Landminen explodieren, und am Ende sind einem die Demokratie, die Taliban und überhaupt alles scheißegal, und man will nur noch lebend aus dieser Hölle rauskommen. Permanent auf Adrenalin, dauerndes Herzrasen, und wenn man abdrückt und einen anderen zu Boden sinken sieht, hat man keine Zeit, irgendetwas zu fühlen außer vielleicht Erleichterung, dass man es nicht selber war, der gefallen ist. Anfangs ist man vielleicht ein bisschen euphorisch, dass man tatsächlich irgendwas getroffen hat, vielleicht wird einem aber auch nur übel. Ich weiß nicht. All die Zerstörung, das ganze Blut. Wie soll einem das nicht unter die Haut gehen? Aber genau das passiert irgendwann. Früher oder später empfindet man gar nichts mehr.« Eine weitere Pause, ein weiterer Schluck Kaffee. »Das ist wahrscheinlich das Schlimmste daran. Einen anderen Menschen zu töten und nichts dabei zu empfinden.«
    Casey fragte sich, ob es Warren genauso ging. Hatte er nichts empfunden, als er ihren Tod geplant hatte? Überhaupt nichts?
    »Manchmal fühlt es sich toll an, nichts zu fühlen«, sagte Drew.
    »Ich glaube, das nennt man einen Widerspruch in sich«, erwiderte Jeremy.
    »Mag sein. Aber nehmen deswegen nicht die meisten Menschen Drogen, um alles auszublenden?«
    »Nehmen Sie sie deswegen?«
    »Die Leute denken, man nimmt Drogen, um high zu sein«, antwortete Drew mehr für sich selbst. »Aber es geht gar nicht so sehr um den Kick als darum, so high zu sein, dass man über all dem Mist und dem Schmerz schwebt und überhaupt nichts mehr

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