Im Krebsgang
Meter lang auf, so daß sie
zu sinken begann. Zwar konnten alle Passagiere bis auf zwei Frauen, die
an Herzversagen starben, gerettet werden, aber mit dem Schiff
hätte zugleich die KdF-Idee leckgeschlagen sein können.
Nicht für Ley. Eine Woche später charterte er vier weitere
Passagierschiffe und verfügte nun über eine ausbaufähige
Flotte, die bereits im Verlauf des nächsten Jahres
hundertfünfunddreißigtausend Urlauber an Bord nehmen konnte,
in der Regel für fünftägige Norwegenreisen, bald aber
auch für Atlantikfahrten zum beliebten Reiseziel Madeira. Nur
vierzig Reichsmark kostete die Freude durch Kraft und zehn Mark der
Sonderfahrschein für die Bahnreise zum Hamburger Hafen.
Als Journalist habe ich mich bei der Sichtung des mir zugänglichen
Materials gefragt: Wie konnte es dem durch Ermächtigung
entstandenen Staat und der einzig übriggebliebenen Partei in so
kurzer Zeit gelingen, die in der Arbeitsfront organisierten Arbeiter
und Angestellten nicht nur zum Stillhalten, sondern zum Mitmachen,
alsbald zum Massenjubel bei angeordneten Anlässen zu verleiten?
Eine Teilantwort ergibt sich aus den Tätigkeiten der
NSGemeinschaft »Kraft durch Freude«, von der viele
Übriggebliebene insgeheim noch lange schwärmten, Mutter sogar
offen heraus: »Das wurd nu alles anders als frieher.
Main Papa, der ja bai ons inne Tischlerei nur Hilfsarbaiter jewesen is
ond der aigentlich an nuscht mehr jeglaubt hat, der hädd auf
Kaadeäff schweeren jekonnt, weil er mit maine Mama zum ersten Mal
in sain janzes Leben hat verraisen jedurft...«
Nun muß ich einräumen, daß Mutter schon immer vieles
zu laut und zur falschen Zeit gesagt hat. Unerbittlich läßt
sie fallen oder hält fest. Im März dreiundfünfzig - ich
zählte acht und lag mit Mandelentzündung, Röteln oder
Masern im Bett - hat sie am Tag, als Stalins Tod bekannt wurde, bei uns
in der Küche Kerzen aufgestellt und richtig geweint.
Nie wieder habe ich sie so weinen sehen. Als Jahre später Ulbricht
weg war vom Fenster, soll sie dessen Nachfolger als »bloßen
Dachdecker« abgetan haben. Sie, die erklärte Antifaschistin,
hat dennoch über den um fünfzig herum zertrümmerten
Gedenkstein für Wilhelm Gustloff gejammert und über die
»schuftige Grabschändung« geschimpft. Später, als
wir im Westen den Terrorismus hatten, las ich ihrer Schweriner
Flaschenpost ab, daß »Baadermeinhoff«, die sie als
eine Person sah, im Kampf gegen den Faschismus gefallen sei.
Unfaßbar blieb, für wen, gegen wen sie war. Doch ihre
Freundin Jenny hat, wenn sie von Mutters Sprüchen hörte, nur
gelächelt: »So ist Tulla schon immer gewesen. Sie sagt, was
andere ungern hören wollen. Dabei übertreibt sie manchmal ein
wenig...« Zum Beispiel soll sie sich in ihrem Betriebskollektiv
vor den versammelten Genossen »Stalins letzte Getreue«
genannt und mit nächstem Satz die klassenlose KdF-Gesellschaft zum
Vorbild für jeden wahren Kommunisten hochgelobt haben.
Als im Januar sechsunddreißig der Hamburger
Schiffsbauwerft Blohm&Voss der Auftrag erteilt wurde, für die
Deutsche Arbeitsfront und deren Unterorganisation »Kraft durch
Freude« ein Motorpassagierschiff zu bauen, dessen Kosten mit 25
Millionen Reichsmark veranschlagt wurden, fragte niemand: Woher kommt
das viele Geld? Mit 25 484 Bruttoregistertonnen, 208 Meter Länge
und 6 bis 7 Meter Tiefgang waren vorerst nur Zahlen vorgegeben. Als
Höchstgeschwindigkeit sollten 15, 5 Knoten erreicht werden. Das
Schiff sollte neben 417 Besatzungsmitgliedern 1463 Passagiere an Bord
nehmen. Das waren, den gängigen Schiffsbau betreffend, normale
Zahlen, doch im Gegensatz zu anderen Passagierschiffen war dem Neubau
die Aufgabe gestellt, mit nur einer einzigen Passagierklasse alle
Klassenunterschiede zeitweilig aufzuheben, was, nach Robert Leys
Weisung, der angestrebten Volksgemeinschaft aller Deutschen vorbildlich
zu werden hatte.
Vorgesehen war, den Neubau beim Stapellauf auf den
Namen des Führers zu taufen, doch als der Reichskanzler bei jener
Trauerfeier neben der Witwe des in der Schweiz ermordeten
Parteigenossen saß, faßte er den Entschluß, das
geplante KdF-Schiff nach dem jüngsten Blutzeugen der Bewegung
benennen zu lassen; worauf es bald nach dessen Einäscherung im
gesamten Reich Plätze, Straßen und Schulen seines Namens
gab. Sogar eine Fabrik für Waffen und sonstiges militärisches
Gerät, die Simson-Werke in Suhl, wurde nach der Zwangsarisierung
umbenannt, auf daß die »Wilhelm Gustloff-Werke« der
Aufrüstung
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