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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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dienen und ab zweiundvierzig im Konzentrationslager
Buchenwald eine Zweigstelle betreiben konnten.
    Ich will jetzt nicht aufzählen, was sonst noch
nach ihm hieß - allenfalls die Gustloff-Brücke in
Nürnberg und das Gustloff-Haus der deutschen Kolonie im
brasilianischen Curitiba -, vielmehr frage ich mich und habe mit dieser
Frage das Internet gefüttert: »Was wäre geschehen, wenn
das am 4. August 1936 in Hamburg auf Kiel gelegte Schiff beim
Stapellauf doch noch auf den Namen des Führers getauft worden
wäre?«
    Die Antwort kam prompt: »Niemals hätte
die Adolf Hitler sinken können, weil nämlich die
Vorsehung...« undsoweiter undsoweiter. Worauf sich mir der
Gedanke näherte: Folglich hätte ich dann nicht als
Überlebender eines von aller Welt vergessenen Unglücks
herumlaufen müssen. Weil ganz normal in Flensburg an Land gekommen
und erst dort von Mutter entbunden, wäre ich kein exemplarischer
Fall und gäbe heute nicht Anlaß fürs Wörterklauben.
    »Main Paulchen is was janz Besondres!«
Schon als Kind bekam ich Mutters Standardsatz zu hören. Peinlich
wurde es, wenn sie vor Nachbarn und sogar vorm versammelten
Parteikollektiv meine Besonderheit in breitestem Langfuhrsch
auftischte: »Von saine Jeburt an hab ech jewußt, aus dem
Bengel wird mal ne richtge Beriehmthait...«
    Daß ich nicht lache! Kenne meine Grenzen. Bin
ein mittelmäßiger Journalist, der auf Kurzstrecken ziemlich
gut abschneidet. Zwar mag ich früher im Plänemachen
groß gewesen sein - ein nie geschriebenes Buch sollte
»Zwischen Springer und Dutschke« heißen -, doch in
der Regel blieb es beim Plan. Als dann Gabi klammheimlich die Pille
abgesetzt hatte, eindeutig von mir schwanger war und mich vors
Standesamt geschleppt hatte, wurde mir, kaum war der Schreihals da und
die zukünftige Pädagogin wieder im Studium, sonnenklar: Ab
jetzt geht nichts mehr. Von jetzt an kannst du dich nur noch als
Hausmann beim Windelnwechseln und Staubsaugen bewähren.
Schluß mit Gernegroß! Wer sich mit
fünfunddreißig und beginnendem Haarausfall noch ein Kind
andrehen läßt, ist nicht zu retten. Was heißt hier
Liebe! Die gibt's allenfalls wieder ab siebzig, wenn ohnehin nichts
mehr läuft.
    Gabriele, die von jedermann Gabi genannt wurde, war
zwar nicht hübsch, aber anmachend. Sie hatte was
Mitreißendes und glaubte anfangs, mich aus dem Bummeltrott in
eine mehr raumgreifende Gangart bringen zu können - »Wag
dich doch mal an was gesellschaftlich Relevantes, etwas über die
Nachrüstung und die Friedensbewegung« -, und ich zapfte mir
auch einen entsprechenden Sermon ab: Mein Bericht über Mutlangen,
Pershing-2-Raketen und Sitzblockaden hat sogar in halbwegs linken
Kreisen Beachtung gefunden. Aber dann sackte ich wieder ab. Und
irgendwann muß sie mich aufgegeben haben.
    Doch nicht nur Gabi, auch Mutter hat in mir den
typischen Versager gesehen. Gleich nach der Geburt unseres Sohnes und
nachdem sie uns per Telegramm ihren Namenswunsch »Muß
unbedingt Konrad heißen« diktiert hatte, schrieb sie ihrer
Freundin Jenny einen ziemlich offenen Brief: »So ein Esel! Ist er
dafür in den Westen rüber? Mich so zu enttäuschen. Soll
das etwa alles sein, was er auf die Beine kriegt?«
    Hat ja recht gehabt damit. Meine gut zehn Jahre
jüngere Frau blieb zielstrebig, schaffte jedes Examen, wurde
Gymnasiallehrerin und beamtet; ich blieb, was ich bin. Keine sieben
Jahre dauerte der anstrengende Spaß, dann war zwischen Gabi und
mir Schluß. Mir ließ sie die Kreuzberger Altbauwohnung mit
Ofenheizung und den durch nichts zu bewegenden Berliner Mief, sie zog
mit dem kleinen Konrad nach Westdeutschland, wo sie in Mölln
Verwandtschaft hatte und bald in den Schuldienst übernommen wurde.
    Ein hübsch am See gelegenes Städtchen,
das sich, ruhig im Zonenrandgebiet gelegen, idyllisch gab.
Großspurig nennt sich die landschaftlich gar nicht so üble
Gegend »Herzogtum Lauenburg«. Altväterlich geht es
dort zu. Mölln wird in Reiseführern als
»Eulenspiegelstadt« erwähnt. Und weil Gabi dort ihre
Kindheit verbracht hat, fühlte sie sich bald wie zu Hause.
    Ich aber versackte mehr und mehr. Kam von Berlin
nicht los. Hielt mich als Agenturschreiberling über Wasser.
Brachte nebenbei Reportagen - »Was ist grün an der
Grünen Woche?« und »Die Türken in
Kreuzberg« - im »Evangelischen Sonntagsblatt« unter.
Und
    sonst? Paar eher nervige Weibergeschichten und
Strafzettel fürs Falschparken. Naja, ein Jahr nach Gabis Abgang:
die Scheidung.
Meinen Sohn Konrad sah ich

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