Im Krebsgang
Volltreffern. Im Dock
wurde ein Frachter beschädigt. Die Gustloff jedoch kam mit einem
Riß an der Steuerbordaußenwand davon. Eine nahbei im
Hafenwasser detonierende Bombe hatte den Schaden verursacht: das Schiff
mußte eingedockt werden. Danach erwies sich die
»schwimmende Kaserne« bei einer Probefahrt in der Danziger
Bucht als immer noch
seetauglich.
Inzwischen hieß der kommandoführende Kapitän des Schiffes nicht mehr Bertram, sondern
- wie schon einmal zu KdF-Zeiten - Petersen. Es gab keine Siege mehr,
nur Rückschläge an allen östlichen Frontabschnitten, und
auch die Libysche Wüste mußte geräumt werden. Immer
weniger U-Boote kehrten von Feindfahrten zurück. Unterm
Flächenbombardement zerfielen die Städte; aber Danzig stand
noch mit allen Giebeln und Türmen. In einer Tischlerei des
Vorortes Langfuhr wurden störungsfrei Fenster und Türen
für Lagerbaracken gefertigt. Um diese Zeit, als nicht nur
Sondermeldungen, auch Butter, Fleisch, Eier, sogar
Hülsenfrüchte knapp waren, wurde Tulla Pokriefke als
Straßenbahnschaffnerin kriegsdienstverpflichtet. Sie ging zum
ersten Mal schwanger, verlor aber den Winzling, als sie
vorsätzlich während der Fahrt zwischen Langfuhr und Oliva von
der Bahn sprang: wiederholt und jeweils kurz vor den Haltestellen,
wovon Mutter mir wie von einer sportlichen Übung erzählt hat.
Und noch etwas geschah inzwischen. David
Frankfurter wurde, als die Schweiz befürchten mußte, vom
immer noch großmächtigen Nachbarn okkupiert zu werden, aus
dem Gefängnis in Chur in eine im Welschland gelegene Haftanstalt
verlegt, zu seinem Schutz, wie es hieß; und der Kommandant des
Zweihundertfünfzigtonnenbootes M 96, Alexander Marinesko, bekam
als Kapitän 3. Grades ein neues Boot unterstellt. Zwei Jahre zuvor
hatte er ein Transportschiff versenkt, das seinen Angaben nach ein
Siebentausendtonner, nach Angaben der sowjetischen Flottenleitung nur
ein Schiff von achtzehnhundert Tonnen gewesen sein soll.
Das neue Boot, S 13, von dem Marinesko so lange, ob
nüchtern oder volltrunken, geträumt hatte, gehörte zur
Stalinetz-Klasse. Mag sein, daß das Schicksal, nein, der Zufall,
nein, die strengen Bedingungen des Versailler Vertrages ihm zu dem
modern ausgerüsteten Schiff verholfen haben. Weil dem Deutschen
Reich nach Ende des Ersten Weltkrieges der UBootbau verboten war,
ließen die Krupp-Germania-Werft in Kiel und die
Schiffsmaschinenbau A.G. Bremen, nach ihren Plänen und im Auftrag
der Reichsmarine, ein Hochseeboot auf höchstem technischen Niveau
vom Haager »Ingenieurs Kantoor voor Scheepsbouw« entwerfen.
Später lief der Neubau im Rahmen der deutsch-sowjetischen
Zusammenarbeit wie zuvor die anderen Stalinetz-Boote in der Sowjetunion
vom Stapel und wurde - kurz vor Beginn des deutschen Überfalls auf
Rußland - als Einheit der baltischen Rotbannerflotte in Dienst
gestellt. Wann immer S 13 seinen Stützpunkt Smolny im finnischen
Hafen Turku verließ, hatte es zehn Torpedos an Bord.
Auf seiner schiffskundigen Website vertrat mein
Sohn die Meinung, es habe sich bei dem in Holland entworfenen U-Boot um
»deutsche Wertarbeit« gehandelt. Mag sein.
Vorerst jedoch gelang es Kapitän Marinesko nur, vor der Küste
Pommerns einen Hochseeschlepper namens Siegfried nach drei
fehlgeleiteten Torpedoschüssen durch Artilleriebeschuß zu
versenken. Gleich nach dem Auftauchen kam das
10-ZentimeterBuggeschütz zum Einsatz.
Ich lasse das Schiff jetzt liegen, wo es, von
Luftangriffen abgesehen, einigermaßen sicher lag, und komme im
Krebsgang auf mein privates Unglück zurück. Es war ja nicht
so, daß von Anfang an klar erkannt werden konnte, wohin sich
Konrad verrannte. Nach meiner Einschätzung handelte es sich um
harmlos kindisches Zeug, das er als Cyberspace-Turner von sich gab,
etwa als er die aus Propagandagründen billig gemachten KdF-Reisen
mit den Angeboten des heutigen Massentourismus, den Kosten von Tickets
für Kreuzfahrten in der Karibik an Bord sogenannter
»Traumschiffe« oder mit TUI-Angeboten verglich,
natürlich immer zugunsten der »klassenlos« auf
Norwegen Kurs haltenden Gustloff und anderer Schiffe der Arbeitsfront.
Das sei wahrer Sozialismus gewesen, jubelte er auf seiner Website.
Vergeblich hätten die Kommunisten versucht, in der DDR etwas
Ähnliches auf die Beine zu stellen. Leider, hieß es bei ihm,
sei dieser Versuch nicht gelungen. Nicht einmal die KdFGroßanlage
Prora auf der Insel Rügen, in Friedenszeiten für 20 000
Badeurlauber geplant, habe man nach Kriegsende
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