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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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fertiggebaut.
    »Nun«, forderte er, »muß
man die KdF-Ruine unter Denkmalschutz stellen!« und stritt dann
auf pennälerhafte Weise mit seinem, wie ich lange geglaubt hatte,
erfundenen Dialogpartner David über die Zukunft einer nicht nur
nationalen, sondern auch sozialistischen Volksgemeinschaft. Er zitierte
Gregor Strasser, aber auch Robert Ley, dessen Ideen er mit der
Schulnote »sehr gut« pries. Er sprach von einem
»gesunden Volkskörper«, worauf David vor
»sozialistischer Gleichmacherei« warnte und Ley einen
»ständig alkoholisierten Großsprecher« nannte.
    Ich habe mir das nur mäßig amüsante
Gechatte angeschaut und kam zu der Einsicht: je begeisterter mein Sohn
das Wunderwerk »Kraft durch Freude« als Zukunftsprojekt
herausstrich und die Bemühungen des Arbeiter- und Bauern-Staates,
gleichfalls ein sozialistisches Ferienparadies erblühen zu lassen,
trotz aller Mängelerscheinungen lobte, um so peinlicher sprach
seine Großmutter aus ihm. Sobald ich in Konnys Chatroom war,
hatte ich das unbeirrbare Gequassel der Ewiggestrigen im Ohr.
    So hatte Mutter einst mich und andere agitiert.
Während der Zeit, bevor ich in den Westen ging, hörte ich sie
als Stalins letzte Getreue an unserem Küchentisch Reden schwingen:
»Ond das sag ech euch, liebe Jenossen, so wie onser Walter
Ulbricht mal janz klain als Tischlerlehrling anjefangen hat, so bin och
ech erstmal inne Tischlerlehre jegangen ond hab Knochenleim
jerochen...«
    Später, nach des Ersten Sekretärs Abgang,
soll sie Ärger bekommen haben. Nicht mehr, weil ich
republikflüchtig geworden war, eher, weil sie Ulbrichts Nachfolger
als »mickrigen Dachdecker« beschimpft und überall
Revisionisten gewittert hat. Und vors versammelte Parteikollektiv
zitiert, soll sie sich zur Person Wilhelm Gustloffs als Opfer des
Zionismus etwa so geäußert haben: »... der so tragisch
hinjemordete Sohn von onsere scheene Stadt Schwerin.«
    Dennoch hat sich Mutter in ihrer Position halten
können. Sie war beliebt und gefürchtet zugleich. Als mehrfach
ausgezeichnete Aktivistin blieb sie bei der Erfüllung des
Plansolls erfolgreich und hat ihre Tischlereibrigade beim VEB
Möbelkombinat in der Güstrower Straße bis zum
Schluß geleitet. Sie ist es auch gewesen, die den Anteil von
Frauen als Tischlerlehrlinge auf über zwanzig Prozent gesteigert
hat.
    Als dann der Arbeiter- und Bauern-Staat weg war und
- für Stadt und Land zuständig - die Berliner Treuhand eine
Zweigstelle in Schwerin aufmachte, soll Mutter beim Abwickeln und
Privatisieren der VEB Kabelwerke, der Plastmaschinenwerke und weiterer
Großbetriebe, so der Klement-Gottwald-Werke für
Schiffszubehör, und sogar ihrer einstigen VEB Möbelwerke die
Finger drin gehabt haben. Jedenfalls ist anzunehmen, daß sie sich
beim Schnäppchengeschäft schadlos gehalten hat, als im Osten
das große Abräumen begann, denn Mutter war, sobald das neue
Geld da war, nicht nur auf ihre Rente angewiesen. Und als sie meinem
Sohn den Computer samt teurem Zubehör geschenkt hat, wird sie
dieser Kauf nicht arm gemacht haben. Den Anstoß für soviel
Großzügigkeit - mir gegenüber ist sie ziemlich
knauserig gewesen - führe ich auf ein Ereignis zurück, das
zwar im bundesdeutschen Pressetümpel keine Wellen geschlagen hat,
aber entscheidend für Konny wurde.
    Bevor ich auf das Treffen der Überlebenden
komme, muß jedoch eine Peinlichkeit eingerückt werden, die
mir jemand ausreden möchte, der sich ein allzu fleckenfreies Bild
von seiner Tulla gemacht hat: am 30. Januar neunzig, als das verfluchte
Datum außer Kurs zu sein schien, weil überall nach der
Melodie »Deutschland, einig Vaterland« getanzt wurde und
alle Ossis verrückt nach der D-Mark waren, ist Mutter auf ihre
Weise aktiv geworden.
    Am Südufer des Schweriner Sees gammelte eine
mausgraue Jugendherberge zweistöckig vor sich hin. Man hatte sie
Anfang der fünfziger Jahre gebaut und nach Kurt Bürger
benannt, einem Altstalinisten, der bald nach Kriegsende als erprobter
Antifaschist von Moskau her angereist war und sich in Mecklenburg durch
hartes Durchgreifen Verdienste erworben hatte. Und hinter der
Jugendherberge »Kurt Bürger« hat Mutter einen
Strauß langstielige Rosen abgelegt, etwa dort, wo einst zur
Seeseite hin der große Granit zu Ehren des Blutzeugen seinen
Standort gehabt haben soll. Bei Dunkelheit, Punkt zehn Uhr achtzehn,
tat sie das. Jedenfalls hat sie ihrer Freundin Jenny und mir
später von ihrer nächtlichen Aktion mit solch genauer
Zeitangabe erzählt.

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