Im Krebsgang
hat seinen Vortrag nicht zu Ende bringen können. Rufe
wie »Aufhören!« und »Was soll das
Gesülze!« sowie Lärm, verursacht durch das Auftrumpfen
mit Bierflaschen, führten dazu, daß er das weitere Schicksal
des Schiffes, dessen Weg bis zum Untergang, nur verkürzt, grad
noch bis zur Torpedierung vortragen konnte. Konny hat das mit Fassung
ertragen. Wie gut, daß Mutter nicht dabeigewesen ist. Der bald
Sechzehnjährige mag sich getröstet haben; schließlich
stand ihm jederzeit das Internet offen. Für weitere Kontakte mit
Skins gibt es keinen Beleg.
Er paßte nicht zu den Glatzen. Konny hat bald danach begonnen,
ein Referat vorzubereiten, das er vor Lehrern und Schülern seines
Möllner Gymnasiums halten wollte. Bis es soweit ist, ihm aber das
Publikum für seinen Vortrag verweigert wird, werde ich weiterhin
auf Spur bleiben und vorerst von der Gustloff während Kriegszeiten
berichten: Als Lazarettschiff fehlte ihr Nachschub, sie mußte
abermals umgerüstet werden.
Das Schiff wurde ausgeweidet. Ende November vierzig
verschwanden die Röntgenapparate. Man demontierte die
Operationssäle, desgleichen die Ambulanz. An Bord waren keine
Schwestern mehr tätig, keine Krankenbetten standen in Reihe. Mit
einem Großteil der zivilen Schiffsbesatzung wurden Ärzte und
Sanitäter abgemustert oder auf andere Schiffe versetzt. Von den
Maschinisten blieb nur der Wartungsdienst für den Maschinenraum.
Anstelle des Chefarztes hatte fortan ein U-Bootoffizier im Range eines
Korvettenkapitäns das Sagen; als Kommandeur der 2.
Unterseeboot-Lehrdivision bestimmte er über die Funktion des Wohn-
und Ausbildungsschiffes, das als »schwimmende Kaserne«
vertäut lag. Kapitän Bertram blieb an Bord, doch gab es
keinen Schiffskurs, den er hätte abstecken können. Zwar ist
er auf Fotos, die mir vorliegen, imposant anzusehen, war aber dennoch
ein Kapitän auf Abruf, zweitrangig. Dem erfahrenen Seemann der
Handelsmarine fiel es schwer, sich an militärische Weisungen zu
halten, zumal an Bord alles anders wurde. Anstelle der Ley-Bilder
hingen gerahmte Fotos des Großadmirals. Der Rauchersalon auf dem
Unteren Promenadendeck verwandelte sich in eine Offiziersmesse. Die
großen Speisesäle hatten der Abfütterung der
Unteroffiziere und Mannschaften zu dienen. Im Vorschiff wurden Speise-
und Aufenthaltsräume für die restliche Zivilbesatzung
eingerichtet. Nicht mehr »klassenlos« lag die Wilhelm
Gustloff an einem der Kais der einst polnischen Hafenstadt Gdynia, die
seit Kriegsbeginn Gotenhafen zu heißen hatte. Dort lag sie
für Jahre fest.
Vier Kompanien der Lehrdivision wohnten an Bord. In
mir vorliegenden Papieren, die übrigens wortgetreu im Internet
zitiert und angereichert durch Bildmaterial verbreitet wurden
- mein Sohn schöpfte aus einer Quelle, die jetzt meine ist -, wird
versichert, daß Korvettenkapitän Wilhelm Zahn als erfahrener
U-Bootkommandant für eine harte Ausbildung der Freiwilligen
gesorgt hat. Die immer jüngeren U-Bootmatrosen - gegen
Schluß nahmen sie Siebzehnjährige - kamen für ein
Vierteljahr an Bord. Danach war vielen von ihnen der Tod sicher, sei es
im Atlantik, im Mittelmeer, später auf Feindfahrt längs der
nördlichsten Route nach Murmansk, auf der amerikanische
Geleitzüge, beladen mit Rüstungsgütern für die
Sowjetunion, ihren Kurs nahmen.
Neunzehnhundertvierzig, einundvierzig,
zweiundvierzig gingen dahin und produzierten Siege, die für
Sondermeldungen taugten. Außer der ständigen Ausbildung von
Todeskandidaten und dem ungefährlich bequemen Etappendienst, dem
das Ausbildungspersonal und der Rest der Schiffsbesatzung nachging - im
Bordkino liefen alte und neue Ufa-Filme -, geschah nichts in einer
Zeit, in der im Osten Kesselschlachten geschlagen wurden und in der
Libyschen Wüste das Afrikakorps Tobruk eroberte, es sei denn, man
bewertet den Auftritt des Großadmirals Dönitz bei seinem
Besuch am Kai GotenhafenOxhöft als ein Ereignis, von dem
allerdings nur offizielle Fotos geblieben sind.
Das fand im März dreiundvierzig statt. Da war
Stalingrad bereits gefallen. Schon bewegten sich alle Frontlinien
rückläufig. Da die Lufthoheit über dem Reich längst
verloren war, rückte auch hier der Krieg näher; doch nicht
die nahegelegene Stadt Danzig, sondern Gotenhafen war Ziel von
Bomberverbänden der 8. amerikanischen Luftflotte. Das
Lazarettschiff Stuttgart brannte aus. Das
U-Bootbegleitschiff Eupen wurde versenkt. Mehrere Schlepper, ein
finnischer, ein schwedischer Dampfer sanken nach
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