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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Kommandanten und wollte die Kampfkraft seines Verbandes nicht schmälern lassen. Als sogar die Mannschaft von S 13 mit einem Gnadengesuch zugunsten ihres Kapitäns in das schwebende Verfahren eingriff und aus Sicht des NKWD der Beginn einer Meuterei vermutet werden konnte, befahl Orjel dem nur bei Landgang unzuverlässigen U-Bootkommandanten sofort nach Hangö auszulaufen, dessen Hafen S 13 eine Woche später verließ. Eisbrecher hatten die Fahrrinne freigelegt. Das Boot sollte an der schwedischen Insel Gotland vorbei Kurs auf die baltische Küste nehmen.
    Nun gibt es diesen Film in Schwarzweiß, der Ende der fünfziger Jahre gedreht wurde. Er heißt »Nacht fiel über Gotenhafen« und ist mit Stars wie Brigitte Horney und Sonja Ziemann besetzt. Der Regisseur, ein Deutschamerikaner namens Frank Wisbar, der zuvor einen Stalingradfilm gedreht hatte, ließ sich von dem Gustloff- Spezialisten Heinz Schön beraten. Im Osten nicht zur Aufführung freigegeben, lief der Film mit mäßigem Erfolg nur im Westen und ist, wie das Unglücksschiff, vergessen und allenfalls Ablagerung in Archiven.
Mit Mutters Freundin Jenny Brunies, bei der ich damals als Oberschüler in Westberlin wohnte, habe ich auf ihr Drängen hin - »Meine Freundin Tulla hat mich wissen lassen, wie sehr sie sich unseren gemeinsamen Kinobesuch wünscht« - den Streifen gesehen und war ziemlich enttäuscht. Die Handlung lief nach immer der gleichen Masche ab. Wie bei allen Titanic-Filmen mußte auch beim verfilmten Gustloff-Untergang eine verquälte, zum Schluß hin heroische Liebesgeschichte als Zusatzstoff und Füllmasse herhalten, als wäre das Sinken eines überbelegten Schiffes nicht spannend, der tausendfache Tod nicht tragisch genug.
Eine Beziehungskiste in Kriegszeiten. In »Nacht fiel über Gotenhafen« geben, nach viel zu langem Vorspiel in Berlin, Ostpreußen und sonstwo, ein Soldat an der Ostfront als betrogener Ehemann und späterer Schwerverwundeter auf dem Schiff, die ungetreue Ehefrau mit Säugling, die sich aufs Schiff retten konnte, als hin- und hergerissene Reizfigur und ein leichtlebiger Marineoffizier als Ehebrecher, Vater und Retter des Säuglings das Personal der Dreiecksgeschichte ab. Zwar hat Tante Jenny, während der Film lief, an bestimmten Stellen weinen können, aber als sie mich hinterher zu meinem ersten Pernod in die Paris-Bar einlud, sagte sie: »Deine liebe Mutter hätte an dem Film wohl kaum Gefallen gefunden, weil vor wie auch nach dem Untergang des Schiffes keine einzige Geburt gezeigt worden ist...« Und dann sagte sie noch: »Eigentlich kann man so etwas Schreckliches gar nicht verfilmen.«
Ganz sicher bin ich, daß Mutter keinen Geliebten an Bord gehabt hat und auch keinen meiner möglichen Väter. Mag sein, daß sie, wie es ihre Art war und geblieben ist, selbst im hochschwangeren Zustand männliches Schiffspersonal anzuziehen verstand: sie verfügt nun mal über einen inwendigen Magneten, den sie »ain jewisses Etwas« nennt. So soll, kaum daß die Anker gelichtet waren, einer der Marinerekruten und zukünftigen U-Bootfahrer - »Son blasser Bengel mit ieberall Pickel im Jesicht« - die Schwangere aufs oberste Deck begleitet haben. Innere Unruhe hatte sie auf die Beine gebracht. Der Matrose wird, schätze ich, in Mutters Alter gewesen sein, siebzehn oder knapp achtzehn, als er sie übers spiegelglatte, weil vereiste Sonnendeck sorgsam am Arm führte. Und dann hat Mutter mit ihrem Blick, der nichts ausläßt, gesehen, daß die Davits, Blöcke und Halterungen der backbord und steuerbord festgezurrten Rettungsboote und deren über Rollen geführtes Tauwerk vereist waren.
Wie oft habe ich ihren Satz gehört: »Wie ech das jesehn hab, ist mir janz mulmich jeworden«? Und in Damp, als sie schwarz und schmal von alten Herren umringt stand und mein Sohn Konrad von ihr in die verengte Welt der Überlebenden eingeführt wurde, hörte ich sie sagen: »Da is miä klar jeworden, daß wejen Veraisung mit Rettung nuscht werden könnt. Runterjewollt hab ech von dem Kahn. Hab och jeschrien wie dammlich. War aber zu spät schon...«
Davon hat der Film, den ich mit Tante Jenny in einem Kino in der Kantstraße gesehen habe, nichts gezeigt, keine Eisklumpen auf den Davits der Rettungsboote, keine vereiste Reling, nicht mal Eisschollen im Hafenbecken. Dabei steht nicht nur bei Schön, sondern auch im Taschenbuchbericht der Engländer Dobson, Miller, Payne, daß am 30. Januar 1945 eisige Kälte herrschte: 18 Grad unter Null. Eisbrecher hatten

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