Im Krebsgang
bei dicht Schwerverwundete
stöhnten. Die Laube war während KdF-Zeiten als eine Art
Wintergarten bei Urlaubsreisenden beliebt gewesen und lag unterhalb der
Kommandobrücke. Dr. Richter, dem obersten Sanitätsoffizier
der 2. Unterseeboot-Lehrdivision, unterstand als Schiffsarzt die Laube
wie auch die Station für Schwangere und Wöchnerinnen.
Jedesmal, wenn Mutter mir von der Einschiffung erzählt hat, sagte
sie: »Da warres warm ändlich. Ond haiße Milch hab
ech och glaich jekriegt, mitt nem Klacks Honig drin...«
Es muß auf der Wöchnerinnenstation normaler Betrieb geherrscht haben. Seit Beginn der
Einschiffung waren vier Säuglinge geboren worden, »lauter Bengels«, wie ich zu hören
bekam.
Man behauptet, zu ihrem Unglück habe die
Wilhelm Gustloff zu viele Kapitäne an Bord gehabt. Mag sein. Aber
die Titanic hatte nur einen, und trotzdem ging es gleich auf der
Jungfernfahrt schief. Jedenfalls sagte Mutter, sie habe sich vor dem
Auslaufen des Schiffes mal kurz die Beine vertreten wollen und sei
dabei, ohne von der Wache aufgehalten zu werden - »Ain Stock rauf
nur« -, auf die Kommandobrücke geraten, »wo son oller
Seebär mit nem andern, der ain Spitzbart jehabt hat, mächtich
Strait jekriegt hat...«
Der Seebär ist Kapitän Friedrich Petersen
gewesen, ein Mann der zivilen Seefahrt, der in Friedenszeiten mehrere
Passagierschiffe, so auch für kurze Zeit die Gustloff, unter
seinem Kommando gehabt hatte und der nach Kriegsbeginn als
Blockadebrecher in englische Gefangenschaft geraten war. Dann aber
wurde er seines Alters wegen als kriegsuntauglich eingestuft und
nachdem er sich mit schriftlicher Erklärung verpflichtet hatte,
nie wieder als Kapitän auf Seefahrt zu gehen, nach Deutschland
abgeschoben. Deshalb hatte man ihn, einen Mittsechziger, als
»Liegekapitän« auf der »schwimmenden
Kaserne« am Oxhöft-Kai eingesetzt.
Der mit dem Spitzbart kann nur
Korvettenkapitän Wilhelm Zahn gewesen sein, der ständig
seinen Schäferhund Hassan bei Fuß hatte. Der ehemalige, nur
mäßig erfolgreiche UBootkommandant galt als
militärischer Transportleiter des mit Flüchtlingen
überladenen Schiffes. Zudem standen als Entlastung des alten
Kapitäns, dem inzwischen Praxis auf See fehlte, zwei junge, aber
im Bereich der Ostsee erfahrene Kapitäne auf der Brücke, die
Köhler und Weller hießen. Beide waren von der Handelsmarine
übernommen worden und wurden deshalb von den
Kriegsmarineoffizieren, Zahn voran, ziemlich herablassend behandelt:
man aß in verschiedenen Offiziersmessen und kam nur bemüht
ins Gespräch.
So bündelten sich auf der Brücke
Gegensätze, aber auch die gemeinsame Verantwortung für des
Schiffes schwer zu bestimmende Fracht: einerseits war es ein
Truppentransporter, andererseits ein Flüchtlings- und
Lazarettschiff. Mit ihrem grauen Kriegsanstrich bot die Gustloff ein
nicht eindeutig zu definierendes Ziel. Noch lag sie im Hafenbecken
geschützt, wenn man von möglichen Luftangriffen absah. Noch
war der vorgegebene Streit zwischen den zu vielen Kapitänen nicht
ausgereizt. Noch ahnte ein weiterer Kapitän nichts von dem mit
Kindern und Soldaten, Müttern und Marinehelferinnen beladenen und
mit Flakgeschützen bestückten Schiff.
Bis Ende Dezember hatte S 13 im Dock des
Smolny-Stützpunktes der baltischen Rotbannerflotte gelegen. Als
das Boot überholt, aufgetankt, verproviantiert und mit Torpedos
versorgt war, hätte es auslaufen und auf Feindfahrt gehen sollen,
doch fehlte der Kommandant.
Alkohol und Frauen hinderten Alexander Marinesko,
seinen Landgang abzubrechen und rechtzeitig vor Beginn der großen
Offensive, die das Baltikum und Ostpreußen aufrollen sollte, an
Bord seines Bootes zu sein. Es heißt, Pontikka, ein finnischer,
aus Kartoffeln destillierter Schnaps, habe ihn aus dem Lot und um
jegliche Erinnerung gebracht. Die Suche nach ihm in Bordellen und
sonstigen, der Militärpolizei bekannten Absteigen blieb erfolglos;
dem Boot fehlte der Kapitän.
Erst am 3. Januar meldete sich Marinesko ausgenüchtert in Turku zurück. Sogleich wurde er vom NKWD ins Verhör genommen und unter Spionageverdacht gestellt. Da er alle Stationen seines überdehnten Landgangs vergessen hatte, konnte er zu seiner Verteidigung nichts außer Gedächtnislücken vorweisen. Schließlich gelang es seinem Vorgesetzten, dem Kapitän 1. Klasse Orjel, mit dringlichem Hinweis auf des Genossen Stalin jüngsten Einsatzbefehl die Einberufung eines Kriegsgerichtes zu verschieben. Er verfügte nur über wenige erprobte
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