Im Krebsgang
SA-Fahnenträger in Umrissen gemeißelt.
Außerdem befanden sich im Inneren der Halle, die nicht überdacht war, zehn Bronzetafeln, darauf die Namen der Toten. Und achtmal soll hinter dem Sterbedatum als Todesursache »ermordet« gestanden haben. Der Boden der Halle war verdreckt. Das weiß ich von Mutter: »Da hatten Hunde rainjeschissen...«
Der Granit für Wilhelm Gustloff jedoch stand außerhalb der gereihten Findlinge an einer Stelle, die durch die offene Ehrenhalle als besonderer Standort gesehen werden konnte. Von dort aus hatte man einen Weitwinkelblick über den See. Mutter wird in andere Richtung geschaut haben. Und ich bin beim Holzsuchen nie dabeigewesen. Während der Suche nach Brennbarem mag mich in der Lehmstraße eine Frau aus der Nachbarschaft gesäugt haben; die hieß Frau Kurbjun. Mutter hatte ja kaum Brust, auch später nicht, nur zwei spitze Tütchen.
So ist das mit den Denkmälern. Einige werden zu früh errichtet und dann, sobald die Periode speziellen Heldentums vorbei ist, abgeräumt. Andere, wie das Lenin-Denkmal auf dem Großen Dreesch, Ecke Hamburger Allee/Plater Straße, stehen noch immer. Und das Denkmal für den Kommandanten des U-Bootes S 13 wurde erst vor einem knappen Jahrzehnt, am 8. Mai 1990, also fünfundvierzig Jahre nach Ende des Krieges und siebenundzwanzig Jahre nach Marineskos Tod, in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, errichtet: eine dreieckige Granitsäule hebt die überlebensgroße, barhäuptige Bronzebüste des verspätet zum »Helden der Sowjetunion« ernannten Mannes.
Ehemalige Marineoffiziere, mittlerweile in Rente, hatten in Odessa, Moskau und anderswo Komitees gegründet und beharrlich den Ruhm des dreiundsechzig verstorbenen Kapitäns eingeklagt. In Königsberg, wie Kaliningrad bis Kriegsende hieß, ist sogar das Pregelufer hinterm Bezirksmuseum nach ihm benannt worden. So heißt diese Straße immer noch, während Schwerins Schloßgartenallee, die ab siebenunddreißig Wilhelm-Gustloff-Allee hieß, wieder unter altem Namen in die Nähe des einstigen Ehrenhains führt; wie seit der Wende die Lenin-Allee als Hamburger Allee am weiterhin standhaften Denkmal vorbei die Plattenbausiedlung Großer Dreesch durchläuft. Immerhin ist Mutters Adresse, die den Ruhm des Kosmonauten Gagarin feiert, sich treu geblieben.
Eine Lücke fällt auf. Nach dem Medizinstudenten David Frankfurter ist nichts benannt worden. Keine Straße, keine Schule heißt nach ihm. Nirgendwo wurde dem Mörder Wilhelm Gustloffs ein Denkmal errichtet. Keine Website warb für die Aufstellung einer David-undGoliath-Skulptur, womöglich am Tatort Davos. Und hätte der Feindfreund meines Sohnes eine derartige Forderung ins Netz gestellt, wäre gewiß auf Haßseiten die Abräumung des Denkmals durch ein glatzköpfiges Sonderkommando angekündigt worden.
Das ist schon immer so gewesen. Nichts hält auf ewig. Dabei hatten sich die Kreisleitung der NSDAP Schwerin und der Oberbürgermeister der Stadt gleich nach der Ermordung Gustloffs viel Mühe gegeben, den Ehrenhain für alle Ewigkeit zu gestalten.
Schon im Dezember sechsunddreißig, als im schweizerischen Chur der Prozeß gegen Frankfurter abgeschlossen, das Urteil gesprochen war, wurden auf Mecklenburgs Äckern Findlinge gesucht, damit aus ihnen eine Mauer als Einfriedung des Ehrenhains errichtet werden konnte. In der Anweisung hieß es: »Zu diesem Zweck werden sämtliche Natursteine in jeder Größe benötigt, die bei Bauten und auf der Schweriner Feldmark gefunden werden...« Und aus einem Schreiben des Gauschulungsleiters Rohde geht hervor, daß die Landeshauptstadt sich verpflichtet fühlte, die Gauleitung in finanzieller Hinsicht zu unterstützen, und zwar »mit einem Kostenzuschuß von rund RM 10000«.
Als am 10. September 1949 der Abriß des Ehrenhains und die Umbettung der Leichen und Urnen so gut wie abgeschlossen war, betrugen die Kosten weniger, denn unterm entnazifizierten Briefkopf des Oberbürgermeisters heißt es: »Die Ausgaben sind der Landesregierung zwecks Rückerstattung im Betrage von 6096,75 Mark mitgeteilt...«
Allerdings steht auch zu lesen, daß die »Aschereste des Wilhelm Gustloff« nicht auf den städtischen Friedhof übergeführt werden konnten: »Die Urne des G. befindet sich nach Aussagen des Steinmetzmeisters Kröpelin im Fundament des Gedenksteins. Ein Herausnehmen der Urne ist z. Zt. unmöglich...«
Das geschah erst Anfang der fünfziger Jahre, kurz bevor die Jugendherberge gebaut und im Gedenken an den
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