Im Krebsgang
kürzlich verstorbenen Antifaschisten Kurt Bürger benannt wurde. Um diese Zeit befand sich der U-Bootheld Marinesko bereits seit drei Jahren in Sibirien.
Gleich nachdem S 13 in den finnischen Hafen Turku eingelaufen war, begannen mit erstem Landgang die Schwierigkeiten für einen Mann, der sich gefeiert sehen wollte.
Obgleich ihm das NKWD-Dossier, seine bislang vor Gericht nicht verhandelten Vergehen bedrohlich blieben, hörte er nicht auf, nüchtern oder vom Wodka enthemmt die Anerkennung seiner Heldentaten zu fordern. Zwar wurde S 13 als »Rot-Flaggenboot« ausgezeichnet, zwar konnten sich alle Besatzungsmitglieder des Bootes den »Orden des vaterländischen Krieges« an die Brust heften, auch war ihnen ein weiterer Orden, jener der »Roten Fahne«, der Stern, Hammer und Sichel zum Motiv hatte, verliehen worden, aber zum »Helden der Sowjetunion« wurde Alexander Marinesko nicht ausgerufen. Schlimmer noch: in den offiziellen Berichten der baltischen Rotbannerflotte fehlte weiterhin jeder Hinweis auf die Versenkung des Fünfundzwanzigtausendtonnenschiffes Wilhelm Gustloff, und kein Wort bezeugte das schnelle Sinken der General Steuben.
Es war, als hätten aus Bug- und Heckrohren des Unterseebootes nur Phantomtorpedos nicht existierende Zielobjekte gesucht und folgenlos getroffen. Die immerhin gut zwölftausend Toten auf seinem Konto zählten nicht. Schämte sich die oberste Marineleitung wegen der nur grob zu schätzenden Zahl ertrunkener Kinder, Frauen und Schwerverwundeter? Oder sind Marineskos Erfolge im Siegesrausch der letzten Kriegsmonate, als Heldentaten im Überfluß produziert wurden, untergegangen? Sein lärmendes Insistieren war nicht zu überhören. Nichts konnte ihn hindern, bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Erfolge großzuschreiben. Er wurde lästig.
Als ihm im September fünfundvierzig das Kommando über sein Unterseeboot entzogen und er bald danach zum Oberleutnant degradiert und im Oktober aus der sowjetischen Marine entlassen wurde, hieß die Begründung des unehrenhaften Abschieds in drei Stufen: »... wegen gleichgültiger und nachlässiger Einstellung zum Dienst.«
Nach Ablehnung seiner Bewerbung bei der Handelsmarine - er sei auf einem Auge kurzsichtig, hieß der Vorwand - fand Marinesko Arbeit als Verwalter eines Lagers, das die Zuteilung von Baumaterial regelte. Es dauerte nicht lange, bis er Anlaß sah, mit zu wenigen Beweisen den Direktor des Kollektivs zu beschuldigen, Bestechungsgelder angenommen, Parteifunktionäre geschmiert, Material verschoben zu haben; woraufhin man ihn verdächtigte, beim allzu großzügigen Verteilen von nur leicht beschädigten Bauteilen gegen Gesetze verstoßen zu haben. Ein Sondergericht verurteilte Marinesko zu drei Jahren Arbeitslager.
Er wurde nach Kolyma am Weißen Meer deportiert, an einen Ort, der zum »Archipel Gulag« gehörte, über dessen Alltag geschrieben worden ist. Erst zwei Jahre nach Stalins
Tod hatte er, räumlich gesehen, Sibirien hinter sich. Krank kam er zurück. Doch erst nach Beginn der sechziger Jahre wurde der beschädigte U-Bootheld rehabilitiert. Wiederum kam ihm der Rang eines Kapitäns 3. Klasse zu, nunmehr im Ruhestand und mit Anspruch auf Pension.
Jetzt muß ich mich im Rückgriff wiederholen. Deshalb steht hier: Als in Ost und West Stalins Tod bekanntgemacht wurde, habe ich Mutter weinen sehen. Sogar Kerzen ließ sie brennen. Ich stand achtjährig am Küchentisch, mußte nicht zur Schule, hatte die Masern oder sonst was Juckendes hinter mir, pellte Kartoffeln, die zu Margarine und Quark auf den Tisch sollten, und sah, wie Mutter hinter brennenden Kerzen über Stalins Tod weinte.
Kartoffeln, Kerzen und Tränen waren damals knapp. Während meiner Kindheit in der Lehmstraße, und solange ich in Schwerin Oberschüler gewesen bin, habe ich sie nie wieder weinen sehen. Als Mutter sich ausgeweint hatte, bekam sie einen abwesenden, ihren Binnichtzuhauseblick, den auch Tante Jenny seit Kinderjahren kennt. Auf dem Tischlereihof der Langfuhrer Eisenstraße hat man dazu gesagt: »Tulla macht wieder mal ainjetäpperte Feneten.«
Nachdem sie den Tod des großen Genossen Stalin genug beweint hatte und danach längere Zeit ohne Blick gewesen war, gab es, wie vorbereitet, Pellkartoffeln zu Quark mit einem Klacks Margarine.
Um diese Zeit machte Mutter ihren Meister und leitete bald im Schweriner Möbelwerk eine Tischlereibrigade, die nach Soll Schlafzimmermöbel fertigte und Anweisung hatte, diese im Sinne der Völkerfreundschaft in
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