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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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Zelt, Lebensmitteln, Gewehr und Empfänger. In Augenblicken wie diesem fand er kaum noch die Kraft, das Zelt aufzustellen und hineinzukriechen.
    Er lag jetzt im Schlafsack, schaute im Strahl der Taschenlampe auf seine Karte und überlegte, wo er weitersuchen sollte, wenn er etwas gegessen, sich ausgeruht und der Schneesturm sich gelegt hatte. Als es noch hell war, hatte er ihn schon gerochen, außerdem war er an der Gelbfärbung des Himmels zu erkennen gewesen. Draußen herrschten Temperaturen von fast zwanzig Grad unter Null, und seit dem Aufstellen des Zelts fühlten sich seine Hände taub an. Er setzte den kleinen Coleman-Kocher in Gang, um etwasSchnee aufzutauen. Seine Finger kribbelten und brannten, als das Blut wieder zu zirkulieren begann.
    Die Karte verriet ihm, dass er sich oberhalb einer Stelle namens Wrong Creek befand. Lovelace kannte den Namen noch von früher. Es gab da eine Geschichte, weshalb dieser Bach der »falsche Bach« genannt wurde, aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Etwas weiter oberhalb entdeckte er zwei gekreuzte Spitzhacken, das Symbol für eine sicherlich längst stillgelegte Mine, und er beschloss, sie einmal genauer zu erkunden. Vielleicht konnte er dort die Wolfskadaver loswerden. Falls er die Wölfe je fing.
    Er holte den Empfänger aus seinem Rucksack. Das Ding war verflucht schwer, aber ziemlich nutzlos. Ohne eine Ahnung zu haben, auf welcher Frequenz die Peilsender arbeiteten, konnte er ebenso gut nach einem Floh in der Pelzkammer suchen. Und selbst wenn er Glück hatte und ein Signal auffing, konnte er nicht wissen, ob es sich dabei tatsächlich um einen Wolf handelte. Hier in der Gegend gab es bestimmt noch andere Tiere, denen von irgendwelchen Biologen ein Halsband verpasst worden war, so dass das Signal auch von einem Bären oder Berglöwen, einem Kojoten oder Hirsch stammen konnte.
    Er stellte den Empfänger an und begann zum zehnten Mal an diesem Tag die gleiche Prozedur. Er brauchte eine halbe Stunde und, wie vermutet, hörte er nur sinnloses Rauschen und Knistern. Also schaltete er den Empfänger aus und schob ihn beiseite. Wenn er das nächste Mal zum Trailer ging, um Vorräte zu holen, würde er das verdammte Ding dort lassen.
    Er zwang sich, etwas Dörrfleisch zu essen, und schmolz auf dem Ofen eine Handvoll Schnee für Trinkwasser. Dann knipste er die Taschenlampe aus, legte sich auf den Rückenund starrte an die Zeltdecke, die im letzten Tageslicht gelb schimmerte.
    Den ganzen Tag hatte er an das Baby dieser Mrs. Hicks gedacht. Nicht mal ein Jahr alt. Es war ihm richtig schwergefallen, den Blick von diesem Kind zu lösen, von den winzigen, rosigen Händen und dem kleinen Gesicht, das es verzog, als es nach der Brust seiner Mutter schrie. Dieses Geschrei, diese geballte Energie hatten ihn ziemlich aus der Fassung gebracht.
    Er hatte den Nachwuchs so mancher Tiere kennengelernt, wusste, wie er roch, sich anfühlte und was er für Laute von sich gab, sei es im Leben oder im Todeskampf. Doch ein menschliches Baby hatte er noch nie betrachtet, noch nie auf dem Arm gehalten oder auch nur berührt. Noch nie hatte er diesen warmen, süßen Babygeruch wahrgenommen.
    Er war noch nicht lange mit Winnie verheiratet gewesen, als sie herausfanden, dass sie keine Kinder bekommen konnten. Winnie wollte eins adoptieren, aber ihn hatte der Gedanke gestört, das Kind eines anderen Mannes aufzuziehen, und so hatten sie keine Kinder gehabt.
    Kontakt mit Kindern hatte er möglichst vermieden und um Babys immer einen weiten Bogen gemacht. Vielleicht hatte er befürchtet, sie könnten einen wunden Punkt in ihm berühren. So wie er war auch Winnie ein Einzelkind gewesen, so dass es weder Neffen noch Nichten gab, die zu Besuch kommen oder später dann eigene Kinder hätten mitbringen können.
    Ganz plötzlich und unerwartet musste Lovelace an den letzten Abend denken, den er mit Winnie im Krankenhaus verbracht hatte.
    Die Ärzte hatten ihn mit gedämpfter Stimme darauf vorbereitet, dass sie bald sterben würde. Und als er wiederhineinging und sich an ihr Bett setzte, dachte er, sie sei bereits tot. Ihre Augen waren geschlossen, und er konnte sie nicht atmen sehen. Sie wirkte so zerbrechlich, so blass und zerschunden von all den Schläuchen und Drähten und Dingen, die man in sie hineingesteckt hatte. Doch ihr Gesicht wirkte friedlich, und nachdem er eine Weile so gesessen hatte, schlug sie die Augen auf und sah ihn lächelnd an.
    Sie begann zu reden, doch so leise, dass er sich zu

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