Im Kreis des Wolfs
den Elch geschossen hatte, sagte er, ging es nicht um sein Überleben. Sicher gab es da den Druck, den seinVater auf ihn ausübte, doch letzten Endes hatte er aus freien Stücken gehandelt, hatte ohne Not ein Leben ausgelöscht. Doch Wölfen, meinte Luke, blieb ebensowenig wie den Blackfeet, die hier einst gejagt hatten, eine Wahl. Sie mussten töten oder würden selbst getötet.
Helen, die immer noch vor dem glühenden Ofen hockte und Buzz kraulte, schaute zu Luke hinüber. Sie liebte diese gemeinsamen Abende. Es war schon dunkel, wenn sie von der Spurensuche heimkamen. Vor der Hütte traten sie die Stiefel ab und klopften sich gegenseitig den Schnee vom Rücken. Dann holte einer die Ski und die übrige Ausrüstung vom Schneemobil, während der andere die Lampen anzündete und den Ofen heizte. Sie behielten Mütze, Jacke und Handschuhe an, bis die Hütte warm war und der Dampf von ihren Kleidern aufstieg. Wenn das Handy funktionierte, sah Helen in ihrer Mailbox nach und beantwortete die Anrufe. Dann bereitete einer von ihnen das Abendessen, während der andere die jeweils neuen Daten in den Computer eingab.
Heute abend hatte Helen ihre Makkaroni mit Käse gekocht, die Luke, obwohl sie das Gericht mindestens dreimal die Woche aßen, angeblich immer noch köstlich fand. In ein paar Minuten, wenn er die letzten Eintragungen gemacht hatte, würde er nach Hause fahren, und Helen war dann allein mit dieser inzwischen vertrauten Leere. Falls sie sich nicht sofort mit etwas anderem beschäftigte, würde sie wieder einmal in Selbsthass verfallen und Joel endlos Vorwürfe machen.
Der Ofen bullerte, und der Schneesturm schien nachzulassen. Luke speicherte seinen Text und lehnte sich zurück.
»Geschafft?«
»Ja. Sehen Sie selbst.«
Helen stand auf und trat hinter seinen Stuhl, während er ihr auf dem Bildschirm seine Arbeit zeigte.
Er hatte eine neue Serie von Karten erstellt, auf der sämtliche Stellen eingezeichnet waren, an denen er und Helen Markierungen gefunden hatten – Stellen also, wo die Wölfe regelmäßig urinierten, um Eindringlingen die Grenzen ihres Territoriums aufzuzeigen. In anderen Jahreszeiten waren diese Stellen schwer auszumachen, doch im Schnee konnte man sie leicht erkennen, und jeden Tag kamen neue hinzu.
Lukes Kartenreihe zeigte, dass die Wölfe ein deutlich umrissenes Territorium von etwa zweihundert Quadratmeilen beanspruchten, das sie alle paar Tage durchstreiften. Im nördlichsten Winkel lag das untere Ende vom Wrong Creek, und von dort dehnte es sich nach Süden und Osten bis an die äußerste Westecke von Jordan Townsends Ranch aus.
Luke holte eine weitere Karte auf den Bildschirm und legte sie über die alte.
»Das hier ist ziemlich merkwürdig. Sieht fast so aus, als würden sie jedes Wochenende einen Ausflug zur Townsend-Ranch machen.«
»Natürlich. Schließlich gibt’s da ein Kino.«
Luke lachte, und plötzlich fiel ihr auf, dass ihre Hände schon die ganze Zeit, die sie hinter ihm stand, auf seinen Schultern gelegen hatten.
»Vielleicht zeigt er ihnen einen der Filme von seiner Freundin.«
»Und serviert ihnen dazu einen Bison-Burger.«
Helen klopfte ihm leicht auf die Schulter.
»Tja, gute Arbeit, Professor.«
Er legte den Kopf in den Nacken und sah lächelnd zu ihr hoch. Sie spürte das plötzliche Verlangen, sich vorzubeugen und ihn auf die Stirn zu küssen, hielt sich aber gerade noch zurück.
»Zeit zum Aufbrechen«, sagte sie.
»Ja, vermutlich.«
Sein Wagen stand etwa eine halbe Meile unterhalb des Sees am Weg, wo auch Helen ihren Pick-up parkte, seit der Winter angebrochen war. Wenn es an manchen Abenden spät wurde, fuhr sie ihn mit dem Schneemobil hinunter.
»Soll ich Sie fahren?«
»Nicht nötig, ich nehme die Skier.«
Während er sich anzog, machte sich Helen ans Aufräumen, um ihre Verwirrung zu verbergen, die sie überkommen hatte, als Luke zu ihr aufsah.
An was für einen Kuss hatte sie genau gedacht? Einen schwesterlichen, einen mütterlichen? Oder gar einen völlig anderen? Sie ermahnte sich, vernünftig zu bleiben. Er war ein Freund, mehr nicht. Ein Freund, bei dem sie sich wohl fühlte, der sie – im Gegensatz zu Joel – nie verurteilte und kritisierte, der sich um sie gekümmert und sie vom Abgrund zurückgerissen hatte.
Sie wusste, was Luke für sie empfand. So wie er sie manchmal anschaute, war nicht zu übersehen, dass er sich ein bisschen in sie verliebt hatte. Und es gab Momente – zum Beispiel jetzt, das musste sie zugeben –, in
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