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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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fast an die Kehle gesprungen.
    »Was zum Teufel redest du da? Das ist öffentliches Eigentum, Helen!
Öffentlich.
Kapiert? Wenn sie so blöd ist, sich ihre Höhle direkt neben einem öffentlichen Weg zu graben, dann ist das ihr Problem.«
    »Okay, okay.«
    »Wir können doch nicht einfach einen öffentlichen Weg sperren.«
    »Ich habe verstanden, Dan. Tut mir leid.«
    »Ich mein ja nur, verdammt noch mal.«
    Luke starrte durch das Fernglas und tat so, als sei er gar nicht anwesend.
    »Er st-st-steht auf.«
    Der Wolf taumelte, schüttelte sich und nieste. Wahrscheinlich war ihm ein wenig vom Läusepulver in die Nase geraten. Einen Augenblick blieb er verwirrt stehen. Wahrscheinlich überlegte er, was mit ihm passiert und ob dieser rote Drache nur ein Traum gewesen war. Dann hob er dieSchnauze schnuppernd in die Luft, warf ihnen einen langen, verächtlichen Blick zu und drehte sich schließlich um, trottete in den Wald und folgte dem Weg, den seine Schwester genommen hatte.
    Dan fuhr sie zur Hütte zurück. Unterwegs sprachen sie kein Wort. Ein Schwarm Schneegänse hatte sich auf dem See niedergelassen, um sich auf der langen Reise nach Norden ein wenig auszuruhen. Dan stellte den Motor ab. Vom Wagen aus schauten sie eine Weile den Vögeln zu.
    Dann sagte Luke, er müsse in die Stadt zu seiner Mutter und einige Dinge besorgen, doch Helen wusste, dass er ihr nur Gelegenheit geben wollte, einige Worte allein mit Dan zu wechseln. Sie sahen ihm nach, wie er zu seinem Wagen ging und wegfuhr.
    »Ich mach mich jetzt auch lieber auf den Weg«, sagte Dan, ohne sie anzuschauen.
    »Okay.« Sie öffnete die Tür und stieg aus.
    »Dan?«
    Er drehte sich mit versteinerter Miene zu ihr.
    »Ja?«
    »Es tut mir leid.«
    »Was tut dir leid?«
    Helen zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Alles vermutlich. Ich hab nur das Gefühl, dass wir keine Freunde mehr sind.«
    »Das ist doch lächerlich.«
    »Ich weiß, dass es dir nicht passt – das mit Luke und mir.«
    »He, Helen. Ist schließlich dein Leben.«
    »Ja, stimmt.«
    Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Ach, Scheiße. Es ist bloß … Na ja, du weißt schon.«
    Sie nickte. Er wandte den Blick ab, schaute wieder aufden See. Helen folgte seinem Blick. Die Schneegänse flogen auf. Sie konnte das Schlagen ihrer Flügel hören.
    »Ginny hat neulich abends was im Internet entdeckt«, sagte er. »Über den Südpol. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass er gar nicht da ist, wo alle Welt ihn vermutet, sondern ein paar Meter weiter. In all den Jahren haben sich die Leute also übers Eis geschleppt, sind gestorben und haben ihr Leben riskiert, bloß um ihre Flagge an der falschen Stelle aufzupflanzen. Selbst der gute alte Amundsen hat nie hingefunden.«
    Er sah sie mit traurigem Lächeln an. »Tja, so ist das nun mal.«
    Er ließ erneut den Motor an. Sie streckte die Hand durchs Fenster. Er hielt sie einen Augenblick fest.
    »Du weißt, wo du mich finden kannst«, sagte er.
    »Ja, ich weiß.«
     
    Vielleicht lag es an der Angst vor dem roten Drachen. Oder einfach am gesunden Wolfsverstand. Wie auch immer, die beiden halsbandtragenden Jährlinge benahmen sich jedenfalls vorbildlich. Vermutlich hatte es etwas mit dem Wetter zu tun. Denn obwohl die Nächte noch Frost brachten, wurde es tagsüber schon warm, und die beiden Wölfe fanden leichte Beute unter den vielen kleineren Waldtieren, die nun aus ihrem Winterschlaf erwachten.
    Selbst unter Aufbietung all ihrer Kräfte waren die Wölfe keine Gegner für die Elche, die langsam wieder hinauf auf die höher gelegenen sonnigen Weiden und in die Cañons zogen. Obwohl die Bullen ihre Geweihe verloren hatten, betrachteten sie diese beiden Neulinge unter den Raubtieren mit majestätischer Verachtung. Einige Male gelang es den beiden jedoch, ein junges oder geschwächtes Reh zu reißen, von dem sie dann stolz einige Brocken zur Höhle schleppten.
    Erst als Helen und Luke dies mit eigenen Augen sahen, wussten sie, dass das Muttertier mit seinem neuen Wurf tatsächlich da drinnen lag. Sie beobachteten die Höhle vom oberen Rand der Rodung, manchmal gemeinsam, manchmal allein, und auch nur dann, wenn der Wind richtig stand. Nachts benutzten sie ein Infrarotglas, das Dan ihnen geliehen hatte. Und wann immer sie kamen, achteten sie darauf, ihren Wagen mindestens eine Meile weiter südlich stehen zu lassen und den Rest des Wegs so leise wie möglich zu Fuß zurückzulegen.
    Von ihrem Wachposten in den Bäumen aus konnten sie den Weg überblicken, der

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