Im Kreis des Wolfs
entlang der Rodung verlief, und sie waren froh, als sie herausfanden, wie selten er benutzt wurde. Einmal sahen sie mittags einen Laster mit Holz vorbeifahren, während ein Jährling sich gleichsam vor den Augen des Fahrers auf dem Felsen über der Höhle rekelte. Sie hielten den Atem an, aber der Laster wurde nicht langsamer. Offenbar hatte der Fahrer nichts bemerkt.
Dem Blick aller entzogen, saugten unten in der kühlen dunklen Erde die Welpen an den Zitzen der weißen Wölfin.
Die Fleischbrocken, die ihr die Jährlinge brachten, reichten kaum, um die Milch nicht versiegen zu lassen. Doch noch lebten alle sechs Welpen, auch wenn sie kleiner und schwächer als der Wurf des letzten Jahres waren.
Ihre rauchblauen Augen waren nun geöffnet, die weichen Ohren nahmen allmählich Form an und stellten sich auf. Die wagemutigeren unter den Welpen erkundeten bereits die Höhle, doch sobald sie in den Tunnel krochen, packte sie ihre Mutter sanft und trug sie in der Schnauze zurück. In ein oder zwei Tagen würden ihre Milchzähne durchbrechen, und sie würden Fleisch brauchen. Erst dann würde sie die Kleinen nach draußen lassen.
Es war nach acht, und Kathy spürte, wie sich ihr Ärger allmählich zu regelrechter Wut steigerte. Sie hatte ihr bestes Kleid angezogen, Buck junior lag im Bett, das Abendessen wartete im Ofen; aber wo zum Teufel blieb Clyde?
Die Zeit des Kalbens war vorbei, und heute wollten sie eigentlich ihren ersten gemeinsamen Abend seit über einem Monat daheim verbringen. Seit ihre Mutter ausgezogen war, hatte Kathy unten im Haupthaus für die gesamte Mannschaft das Essen gekocht. Doch heute Abend fuhren die Rancharbeiter in die Stadt zu Nelly’s Diner, so dass sie und Clyde endlich einmal wieder gemütlich zusammen essen und sich ein wenig näherkommen konnten. Wahrscheinlich war er auf ein Bier mitgefahren.
Ihr Verhältnis hatte sich seit dem Ärger mit den Leuten von den Fish & Wildlife Services ein wenig abgekühlt. Genauer gesagt: Sie war distanziert, und er war vorsichtig gewesen, denn wenn sie sich nicht beherrschte, konnte sich Kathy immer noch ziemlich über die Sache aufregen. Warum bei Männern immer alles in Machtkämpfe ausarten musste, würde sie nie verstehen. Jedenfalls hatte sie ihn zappeln lassen, doch jetzt war es an der Zeit, sich wieder zu versöhnen.
Zu diesem Zweck hatte sie den ganzen Nachmittag damit zugebracht, ein ausgefallenes französisches Mahl zuzubereiten. Sie hatte sogar am Computer eine kleine Speisekarte zusammengestellt und dann ausgedruckt:
Vichyssoise-Suppe,
danach
Bœuf en Croûte Napoléon
und schließlich
Pic Pécan –
zugegeben, das war keine französische Spezialität, aber Clydes Leibgericht. Nicht mehr lange, und das ganze Essen war ruiniert.
Um nicht vor Zorn etwas an die Wand zu werfen, packte sie Lucy Millwards Geschenk ein. Die Hochzeit war morgen Nachmittag, und die ganze Stadt würde kommen.
Kathy hatte ihr im Paragon ein Bild gekauft. Es stammte von einem jungen Künstler oben aus der Gegend um Augusta, der, so Ruth, ein wenig wie Mel Gibson aussah. Das Gemälde zeigte einen Sonnenuntergang in den Bergen. Wenn sie jetzt so darüber nachdachte, war das vielleicht als Hochzeitsgeschenk nicht ganz so passend, doch Lucy würde das wohl nichts ausmachen. Sie heiratete einen gewissen Dimitri aus Great Falls. Er war im Ölgeschäft und offenbar ziemlich reich.
Kathy hatte gerade die Glückwunschkarte geschrieben, da erhellten die Scheinwerfer von Clydes Wagen das Küchenfenster. Als er hereinkam, schaute er so betreten drein, dass sie ihm sein Zuspätkommen am liebsten auf der Stelle verziehen hätte. Doch sie ließ sich nichts anmerken. Sie hielt ihm die Wange zum Kuss hin. Er roch nach Alkohol.
»Tut mir leid, Honey.«
»Soll ich dich jetzt oder später ermorden?«
»Ganz wie du willst.«
»Okay, dann später. Zünde die Kerzen an und setz dich.«
Das Essen schien noch nicht völlig verdorben. Clyde war jedenfalls nüchtern – oder betrunken – genug, um ihr zu sagen, dass er noch nie etwas Besseres gegessen habe. Und als sie nach ein paar Gläsern zum
Pie Pécan
kamen, war Kathy bereits ein wenig besänftigt. Clyde probierte, schaute stirnrunzelnd auf die Karte und sagte dann, die Nachspeise schmecke fast wie Pecan-Pie. Kathy erklärte ihm daraufhin, dass sie zwar ähnlich zubereitet werde, aber mit französischen Nüssen.
Dann musste er natürlich alles verderben und wieder von diesen verfluchten Wölfen anfangen. Vorhin, sagte er, habe
Weitere Kostenlose Bücher