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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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wurde es scherzhaft als »Dino-Knochen« angepriesen, aber selbst das war noch untertrieben.
    An sämtlichen Wänden des Diners hingen riesige Fototapeten mit Bildern der Rocky Mountains, die früher, durch die kleinen Vorderfenster betrachtet, die echten Berge armselig aussehen ließen. Doch im Lauf der Jahre war die Farbe nachgedunkelt, und in der Wärme hatten sich die Tapetenränder gelöst, so dass die Landschaft nun im Schatten zu liegen und von seltsamen Erdspalten durchzogen zu sein schien. Vor diesem Hintergrund drohenden Untergangs aber sorgten die Tische mit ihren rot-weiß karierten Papierdecken und den in roten Gläsern schwimmenden Kerzen für eine etwas fröhlichere Atmosphäre.
    Es waren nur zwei weitere Tische besetzt: der eine von einer Familie deutscher Touristen, deren riesiger Winnebago die Aussicht aus den vorderen Fenstern versperrte, der andere von zwei älteren Männern, beide mit weißen Stetsons und Hörgeräten.
    Der einzige Kellner war ein freundlicher Riese mit blau getönter Sonnenbrille, die langen grauen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Den Kommandos aus der Küche – bestimmt war das Nelly – entnahmen sie, dass er Eimer hieß. Darüber hinaus wiesen ihn die Tätowierungen und das schwarze T-Shirt mit der Aufschrift »Bikers for Jesus« als den Besitzer der Harley Davidson aus, die chromglänzend draußen vor dem Restaurant stand. Als Helen und Dan hereinkamen, sagte er: »Engel mit euch.« Sie brauchten einen Augenblick, bis sie begriffen, dass dies als Begrüßung gemeint war, und vermieden es angestrengt, sich anzusehen, bevor sie nicht an ihrem Tisch saßen.
    Helen schob den Teller weg und lehnte sich zurück.
    »Ich platze gleich, Dan.«
    Sie fragte sich, ob sie in seinen Augen an Glaubwürdigkeit verlieren würde, wenn sie sich jetzt eine Zigarette ansteckte, und beschloß, es lieber nicht zu tun.
    Beim Essen hatten sie fast ausschließlich in Erinnerungen an die gute alte Zeit in Minnesota geschwelgt. Helen erzählte von dem Tag, an dem seine Hand ausgerutscht war, als er einem gefangenen Wolf ein Beruhigungsmittel geben wollte, und sich die Spritze selbst in den Oberschenkel gejagt hatte. In Sekundenschnelle war er zusammengeklappt. Sie lachten so laut, dass sich die beiden deutschen Kinder immer wieder zu ihnen umdrehten und sie mit ihren großen blauen Augen anstarrten.
    Mit keinem Wort spielten sie auf ihre kurze Affäre an, wofür Helen sehr dankbar war. Es hatte sie anfangs ein wenig beunruhigt, dass Dan jetzt geschieden war. Sie wusste nicht, ob es inzwischen wieder eine Frau in seinem Leben gab, wünschte es ihm aber.
    Dan kapitulierte ebenfalls vor dem Steak. Er nahm einen Schluck Bier, lehnte sich zurück, schwieg einen Augenblick und lächelte sie an.
    »Was grinst du so?«, fragte sie.
    »Ach, ich hab nur so nachgedacht.«
    »Worüber?«
    »Wie schön es ist, dich hier zu haben.«
    »Mann, für ein Gratisessen würde ich überall mit dir hingehen.«
    An seinem Blick sah sie, dass er etwas anderes im Sinn gehabt hatte. Sie hoffte, dass er seine Gedanken nicht aussprach und alles verdarb.
    »Weißt du, Helen, als Mary und ich uns getrennt haben, da hätte ich dich beinahe angerufen.«
    »Ach?«
    »Ja, ich habe oft an dich gedacht. Und daran, was aus diesem Sommer damals geworden wäre, wenn ich nicht …«
    »Hör schon auf, Dan.«
    »Tut mir leid.«
    »Das muss es nicht.«
    Sie griff über den Tisch nach seiner Hand und lächelte ihn an.
    »Wir sind Freunde«, sagte sie leise. »Und so war es eigentlich schon immer.«
    »Ja, wahrscheinlich.«
    »Und im Moment brauche ich einen Freund mehr als, na ja, mehr als alles andere.«
    »Tut mir leid.«
    »Sag das noch mal, und ich verrate dir nie mehr meine Mäusefängergeheimnisse.«
    Er lachte und ließ ihre Hand los. Zum Glück tauchte jetzt Eimer auf und fragte, ob er die Steaks abräumen könne und ob sie lieber Creme- oder Schokoladentorte wollten. Sie entschieden sich für Kaffee.
    »Sie sind also die Wolfslady, oder?«, fragte er, als er mit dem Kaffee zurückkam.
    »Stimmt. Woher wissen Sie das?«
    Er zuckte die Achseln. »Das weiß doch die ganze Stadt.«
     
    Buck sah noch mal in den Rückspiegel und vergewisserte sich dann, dass auch die Straße vor ihm frei war. Wenn er auf Höhe ihrer Einfahrt ein Auto sah, fuhr er einfach weiter.
    Es war wirklich praktisch, dass sie hier draußen am Rand der Stadt wohnte, wo es keine neugierigen Nachbarn gab und er den Wagen einfach hinterm Haus parken konnte,

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