Im Kühlfach nebenan
doch gut war! Es dauerte nur noch
wenige Minuten, da war das liebe Martinsgänschen eingepooft. Vorsichtshalber blieb ich bei ihm.
Kurz vor drei Uhr erwachte Martin ruckartig. Kein Wunder, immerhin hatte er gerade einen großen, ungewaschenen |89| Fuß in einer löchrigen Socke in den Magen bekommen.
»Urgghh«, machte er leise, denn Martin ist selbst in einer solchen Situation eher zurückhaltend. Der Kerl, der von dem oberen
Bett in Martins Doppelkoje herabgestiegen war, zog seine Schuhe und die Jacke an und ging zur Tür. Von innen gab es den berühmten
Notausgangsriegel, gegen den man sich nur lehnen muss, schon geht die Tür auf. Der Kerl verschwand in der dunklen Nacht.
»Du musst ihm folgen«, rief ich Martin zu, der immer noch gekrümmt unter seiner Decke lag und sich selbst bemitleidete.
»Warum sollte ich?«, fragte er. »Wahrscheinlich muss der nur mal.«
»Das wirst du dann sehen«, erwiderte ich. »Aber du bist zu Ermittlungszwecken hier, also ermittle gefälligst, wenn sich etwas
Ungewöhnliches tut.« Martin plumpste aus dem Bett, zog sich im Dämmerlicht die Schuhe an und die Jacke über und folgte dem
Penner hinaus in die Nacht. In die kalte Nacht. Es fror. Der Himmel war sternenklar, der abnehmende Mond schien noch hell
genug, um den schemenhaften Umriss des Mannes zu sehen, der zielstrebig und schnell, aber trotzdem wie ein Zombie an der Klosterwand
entlang in Richtung Hauptportal und Klosterplatz ging.
Wie ein Zombie, das war’s. Der Kerl war ein Schlafwandler! Er latschte daher wie ferngesteuert. Martin folgte ihm bis zur
vorderen Ecke, am Hauptportal der Kirche vorbei, um die nächste Ecke, die Längsseite entlang und um die letzte Ecke auf die
Zielgerade zur Eingangstür der Bibliothek. Der Abstand zwischen den beiden Männern betrug inzwischen gute zwanzig Meter, da
Martin in der Dunkelheit unsicher einen Fuß vor den anderen setzte. |90| Der Schlafwandler zog die Tür auf, betrat die Notschlafstelle und ließ die Tür hinter sich zufallen.
Martin stolperte ungelenk die restlichen Schritte und zog an der Tür, aber sie blieb geschlossen. Er zog fester. »Das darf
doch nicht wahr sein«, murmelte er und zog noch fester. »Gerade ging sie doch noch auf.« Ich zischte durch die Tür in das
Sägewerk, in dem viele im Luftstrom flatternde Gaumensegel ein gräßliches Schnarchkonzert aufführten. Der Schlafwandler hatte
sich gerade wieder in sein Bett gelegt und schlief ruhig und friedlich.
Schneewittchen war nicht hier. Marlene auch nicht. »Tu was«, forderte Martin mich auf. »Was denn?«, fragte ich zurück. »Irgendwas«,
stammelte Martin. Er bibberte. Ich düste los, um Marlene zu suchen, fand sie aber nicht. Vielleicht war sie im Krankenhaus
bei ihrer mumifizierten Schwester oder war im Mondlicht unterwegs zum Brocken, keine Ahnung. Wenn man die Weiber mal braucht …
Immerhin bemerkte ich, dass die Kirchentür einen Spalt offen stand. Diese Klostermädels schließen ihr Gotteshaus selbst nachts
nicht ab. Okay, es gab keine großen Schätze in der Betbude, aber so viel Gottvertrauen angesichts eines Brandstifters, der
es auf das Kloster abgesehen hatte, grenzte schon an Dummheit. Für Martin jedenfalls war diese Nachricht sicher positiv.
Er konnte seine Begeisterung gut verbergen. »Was soll ich in der Kirche?«, fragte er. »Schlafen«, erwiderte ich. »Besser,
als hier draußen rumzuhängen.«
»Da fahre ich lieber nach Hause«, sagte er. »Prima«, entgegnete ich. »Dann ruf dir mal ein Taxi.«
|91| Er hatte natürlich sein Handy nicht dabei und in ganz Mariental gab es keinen Taxistand. Er gab nach. Martin suchte alle zerschlissenen
Polster, die in den Bänken verstreut lagen, zusammen. Dann hakte er den Vorhang des Beichtstuhls aus, legte sich auf die Kissen
und deckte sich mit dem Vorhang zu. Ich glaube, nur die Umgebung bewahrte mich vor einigen wirklich fiesen Verwünschungen.
Ich wachte eine Zeit lang über Martins Schlaf, der ihn bald übermannt hatte, aber dann wurde mir die Kirche zu langweilig,
daher zischte ich noch mal los. Dies war ungefähr die Zeit, in der der Brand gelegt worden war. Wenn man einen der hinteren
Zufahrtswege zum Kloster nahm, konnte man die Anwohnerstraßen in Mariental meiden. Es gab einen Weg hinter der Kleingartenanlage
und einen, der am Waldrand einige Meter hinter der äußersten Bebauung von Mariental entlangführte. Ich sah mir beide an. Der
Weg an der Kleingartenanlage war
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