Im Kühlfach nebenan
stockdunkel. Da ich leider als Geist nicht mit Nachtsichtfähigkeiten ausgestattet war, kehrte
ich um und nahm den anderen Weg. Im fahlen Licht der Straßenlaternen flog ich gemächlich auf die ersten Häuser zu. Wenn hier
mitten in der Nacht ein Auto langführe, würde das sicher eher entdeckt als auf dem Weg hinter den Kleingärten. Jetzt jedenfalls
war tote Hose.
Ich stoppte, um zu Martin zurückzukehren, als ich neben mir einen deutlich größeren Lichtfleck bemerkte. Dies war nicht die
Funzel einer Straßenlaterne. Es war ein Penthouse. Erleuchtet wie ein Lampengeschäft zum Jubiläumsverkauf. Nachts um halb
vier. Vorsichtig näherte ich mich den Fenstern.
Der sonnengebräunte Nachbarschaftsaktivist Rolf zum Berg stand an einem Barwagen, stellte eine dicke Flasche ab und trug sein
Glas zu einem großen Ledersessel. Der |92| Kerl ließ sich in die Polster fallen und schwenkte die Flüssigkeit in seinem Glas, deren Farbe an dünnen Tee erinnerte. Allerdings
glaubte ich nicht, dass Rolfi, der aussah, als hätte er sich seit sieben Stunden unablässig die Haare gerauft, die Nacht mit
Zitronentee verbrachte. Ich sprach mir selbst eine Einladung aus und leistete ihm Gesellschaft.
Natürlich wusste ich nicht, was ihn um den Schlaf brachte. Ein schlechtes Gewissen vielleicht? Oder war er gerade von einer
erneuten Rubbelrunde mit der süßen Suse zurückgekehrt? Irgendetwas jedenfalls hielt ihn in dunkler Nacht wach. Und wenn er
gerade aus einem fremden Bett gestiegen war, hatte er vielleicht seine Stoßstange nicht hoch gekriegt, denn etwas hatte ihm
das selbstgefällige Grinsen ausgeknipst.
Da sieht man mal wieder, dass auch die schärfste Penthouse-Loft-Lümmelbude allein nicht glücklich macht. Dabei war die Hütte
ziemlich cool. Von so was hatte ich auch mal geträumt. Nicht in diesem Spießerstil, natürlich. Nein, authentischer. Ein altes
Lagerhaus, so wie das hier, hatte ich bewohnen wollen. Mit einem riesigen Lastenaufzug, der mein jeweils angesagtes Auto in
mein Schlafzimmer befördert. Ähnlich wie bei diesem Fernseh-Privatdetektiv aus Vegas, nur dass der mit seinem Auto ebenerdig
in seine Bude fuhr. Mein Aufzug war da noch einen ganzen Zacken schärfer. Natürlich hätte ich außer einem Bett und einer langen
Couch keine Möbel. Riesenglotze, Massagedampfdusche und Whirlpool, ansonsten industrielle Nüchternheit. Ich beschloss, mich
in den unteren Etagen umzusehen. Vielleicht gab es ja dort Lofts, die mehr nach meinem Geschmack waren als das Yuppie-Wohnzimmer
von Rolfi.
Immerhin boten die anderen Lofts noch alle Entfaltungsmöglichkeiten. Sie standen leer. Mitten in einem der angesagtesten |93| Wohngebiete der Stadt, ganz vorn in erster Reihe mit Blick auf das Kloster. Seltsam, oder? Aber vielleicht war Loft-Wohnen
inzwischen out. Ich drehte noch eine Runde durch das Haus und schaute noch mal bei Rolf vorbei, aber da er immer noch kein
Geständnis zu Papier brachte, rückte ich ab und leistete wieder Martin Gesellschaft in seiner persönlichen Notschlafstelle.
|94| fünf
Martins Versuche, den Schlafwandler am nächsten Morgen auf seinen nächtlichen Ausflug anzusprechen, scheiterten kläglich.
»Ich habe die ganze Nacht geschlafen«, erklärte der Typ, dessen Namen wir bisher nicht rausgekriegt hatten. Ich nenne ihn
der Einfachheit halber Moonie. »Ich bin dir gegen drei Uhr gefolgt, als du den Raum verlassen hast.«
»Warum sollte ich mitten in der Nacht mein warmes Bett verlassen?«
»Du bist einmal um das Kloster herumgegangen.« Moonie starrte Martin mit einem seltsamen Blick an, als fragte er sich, ob
Martin Gras oder Kautabak zwischen den Horchbrettern hatte. Schneewittchen nahm ihn etwas ernster. »Warum ist das wichtig?«,
fragte sie. »Wenn er an dem Abend des Brandes auch geschlafwandelt ist, hat er den Brandstifter vermutlich gesehen.« »Dann
rufe ich am besten die Polizei«, sagte Schneewittchen blass und erschrocken. »Sie bleiben auf jeden Fall hier, um Ihre Aussage
zu machen.«
Martins Schultern sackten herunter. Damit hatte er nicht gerechnet. Ich las in seinen Gedanken, dass er gehofft |95| hatte, das Sägewerk möglichst schnell verlassen und mit Birgit frühstücken zu können.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis ein Polizist im Kloster erschien. Alle anderen Penner außer Martin und Moonie hatten die
Unterkunft fluchtartig verlassen. Mit den Bullen wollte keiner was zu tun haben. Einer der Kripobrüder nahm Moonies
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