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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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Ich schob ihn weit weg. Ich hatte einen guten Job gehabt. Ich war der beste Autoknacker der ganzen
     Stadt. Und Experten werden immer gebraucht, auf jedem Gebiet.
    Meine Gedanken über mein privates Schicksal hatten mich kurzzeitig abgelenkt, daher konzentrierte ich mich erst wieder auf
     Martin und seinen aktuellen Talkgast, als Marlene mir zuzischte, dass ich gefälligst aufpassen solle. Der hutzelige Greis,
     der Martin mit seinem stechenden Blick fast durchbohrte und mit heiserer Flüsterstimme auf ihn einredete, war unter dem Berg
     an Kleidung und Decken kaum zu erkennen. Er lag auf einem der oberen Betten und konnte daher auf Martin herabsehen.
    »Was meinen Sie mit auffällig?«, fragte Martin. »Er huschte von Schatten zu Schatten und sah sich häufig um. Seine Augen leuchteten
     rot.« »Rot?«, fragte Martin. Er schaffte es, den Zweifel aus seiner Stimme herauszuhalten, aber ich spürte, dass ihm die Auskunft
     sehr unglaubwürdig erschien. »Er hinkte«, fuhr der runzlige Augenzeuge fort. »Und wenn er mit dem linken Fuß auftrat, gab
     es ein lautes Geräusch auf dem Pflaster.« »Dann kam er also über den Platz auf das Kloster zu?«, fragte Martin. Clever kombiniert,
     denn nur dort lag Kopfsteinpflaster. Der Kopf unter dem Deckenhaufen nickte heftig. »Konnten Sie sehen, aus welcher Straße
     er kam?«, fragte Martin.
    Ein seltsames, knisterndes Geräusch kam vom Bett. Der Hutzelmann lachte. »Er kam aus keiner Straße. Er kam von unten.«
    »Von unten?«
    »Aus dem dunklen Schoß der Erde. Ein Spalt tat sich auf, eine Wolke aus heißem Schwefeldampf zischte hoch, |87| und als der Nebel sich verzog, stand er da und sah mir genau ins Gesicht.«
    »Mit seinen leuchtend roten Augen«, sagte Martin. Seine Schultern sackten herunter. »Danke. Sie haben mir sehr geholfen.«
    »Pah!«, rief der Alte, dann kroch er noch tiefer unter die Decken. »Sie werden ihn nicht kriegen«, flüsterte er. Martin befragte
     noch zwei Männer, von denen einer so tat, als hätte er ihn gar nicht gehört, während der andere versuchte, ihn mit seiner
     Schwester zu verkuppeln. »Ich habe genug«, dachte Martin an meine Adresse. »Ich gehe schlafen.«
    Marlene lud ihn ein, mit ihr gemeinsam das Nachtgebet zu sprechen.
    Ich schwieg.
    »Sag ihm das«, forderte sie mich auf. »Und dann?«, fragte ich zurück. »Dann muss ich das ganze heilige Gesabbel zwischen dir
     und Martin dolmetschen?«
    »Das wird dir nicht schaden«, erwiderte Marlene. »Keinen Bock.«
    »Frag ihn, ob er mit mir das Nachtgebet sprechen will.« »Nein.«
    »Frag ihn.«
    Das Spiel ging noch ungefähr fünfmal hin und her, dann gab ich nach. Marlene würde mir sonst die ganze Nacht auf den Sack
     gehen. Die verbohrte Möchtegernheilige missionierte ohne Rücksicht auf Verluste, und ich hatte null Bock, mir das Gesabbel
     stundenlang anzuhören. Lieber jetzt Martin fragen, ein schnelles Halleluja runteropern, und dann ist Frieden.
    Martin reagierte zögerlich. Jede Menge Zweifel und Unsicherheiten wirbelten in seinen Gedanken durcheinander. Logo. Er ist
     Naturwissenschaftler, der sein Arbeitsleben |88| damit verbringt, Leichen aufzuschneiden. Die Frage nach dem ewigen Leben der Seele hatte sich für ihn nie gestellt, denn sollte
     es so etwas geben, hatte sich die Seele schon lang weggeschaltet, wenn er die Leichen unter sein Messerchen nahm. Ich hatte
     mit meinem Auftauchen seine gesamte Weltanschauung in die Tonne gekloppt. Seitdem war er verunsichert. Jetzt fragte er sich,
     ob es seinem Seelenfrieden ab- oder zuträglich war, den Kinderglauben an eine höhere Macht aufzufrischen.
    »Siehst du, er will nicht«, beeilte ich mich zu sagen. »Gern«, sagte Martin. Ich hatte den Eindruck, dass er das nur sagte,
     um mir zu widersprechen, aber da ich nun an beiden Enden meiner Wahrnehmung einen Nervenfledderer hatte, gab ich wieder nach.
    »Okay, aber bete schnell, damit es bald vorbei ist«, sagte ich.
    »Bevor des Tages Licht vergeht«, summte Marlene. »Hey, von Singen war nicht die Rede«, protestierte ich. »Es ist eine ganz
     einfache Melodie«, erwiderte Marlene. »Die wirst selbst du hinkriegen.«
    Ich fragte sie nicht, was dieses unverschämte »selbst du« heißen sollte, sondern brummte den Satz in einer mir angemessenen
     Stimmlage. »Oh, Herr der Welt, hör dies Gebet.« Wir schafften die ganzen drei Strophen und ich spürte, wie in Martins Denkschüssel
     Ruhe einkehrte. Tröstliche Ruhe. Wozu das Ableiern von ein paar heiligen Glaubenssätzen

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