Im Kühlfach nebenan
Birgit. Martin hüstelte. Diesmal war ich unschuldig, weil sprachlos.
»Das ist viel Geld«, sagte Martin nachdenklich. »Na ja«, entgegnete Birgit. Klar, die Tussi arbeitet in einer Bank und wirft
da mit den Millionen nur so um sich, aber für einen Rechtsmediziner, einen toten Autoknacker und ein paar bescheidene Nonnen
dürften zweieinhalb Millionen schon ein ordentliches Sümmchen sein.
»Der Orden hatte Schulden, aber die waren schnell geregelt. Allerdings ist das Kloster offenbar baulich in einem sehr beklagenswerten
Zustand und muss dringend saniert werden«, erklärte Birgit.
»Dann ist der Orden jetzt reich?«, fragte ich. Martin gab die Frage weiter. Birgit schüttelte den Kopf. »Die Kosten für die
Sanierung liegen nach einem Gutachten bei über vier Millionen Euro.«
|109| »Von wem ist das Gutachten?«, fragte ich. »Von einem Bauunternehmer mit dem passenden Namen Baumeister«, antwortete Birgit
auf die Frage, die Martin ihr gestellt hatte. Ich war nicht überrascht. Das ist offenbar im Bauwesen so wie in der Autobranche.
Nur bei kleinen und Mittelklasse-Serienwagen gibt es heutzutage genormte Kostenvoranschläge aus dem Computer, seit die Hersteller
ihre Händler zwingen, Reparaturen nach einem festgelegten Schlüssel mit Ersatzteilen und Arbeitsstunden abzurechnen. Egal,
ob sie länger dafür brauchen oder schneller fertig sind. Der Kunde soll wissen, dass jede Vertragswerkstatt denselben Preis
macht. Bei exklusiven Fahrzeugen und Sondermodellen allerdings gibt es keine Regel. Jeder Gutachter, der die Möglichkeit hat,
den Auftrag später selbst zu erhalten, gutachtert so hoch wie möglich. Ich vermutete, dass daher die nicht unerhebliche Summe
von vier Milliönchen für das Zurechtbiegen der klösterlichen Steine kam.
»Woher will der Orden die fehlenden Millionen nehmen?«, fragte Martin. »Das ist der Knaller«, sagte Birgit. »Der Bauunternehmer
sponsert jeden Euro, den das Kloster ihm bezahlt, mit einem weiteren Euro. Wenn er also eine Arbeit ausführt, die tausend
Euro kostet, berechnet er nur fünfhundert, den Rest gibt er als Spende an das Kloster.«
Okay, damit war meine Gutachtertheorie im Eimer. Warum sollte Baumeister den Wert besonders hoch ansetzen, wenn er hinterher,
bei der Ausführung des Auftrags, auf die Hälfte verzichtete? Oder gerade deshalb? Wie war das doch gleich mit den Spenden?
Ich hatte in den letzten Jahren meines irdischen Lebens keine offiziellen Einkünfte gehabt, daher machte ich keine Steuererklärung
und setzte auch keine Spenden ab, aber ich wusste, dass diese |110| Mildtätigkeit bei Geldsäcken total beliebt war. Die verschleuderten Geld, um welches zu sparen. Krass, oder? Selbst Bill Gates
verballert jedes Jahr ein paar Milliarden, um unterernährten Negern einen Müsliriegel zu bezahlen. Vermutlich besäuft sich
der amerikanische Finanzminister jedes Mal, wenn er von einer Gates’schen Millardenspende in der Zeitung liest und ausrechnet,
wie viele Millionen an Steuern ihm deshalb wieder durch die Lappen gehen. Martin überlegte. »Wenn ich das richtig verstanden
habe, war der Orden bankrott, hat eine Erbschaft gemacht, wird zusätzlich von dem Bauunternehmer gesponsert und ist damit
finanziell auf der sicheren Seite.«
Birgit nickte.
Martin seufzte erleichtert auf. »Darauf wird auch die Kripo sehr schnell kommen. Damit sollte der Verdacht, dass die Nonnen
ihr Kloster selbst angezündet haben, wohl vom Tisch sein.«
Ich wusste genau, worauf das hinauslief, und war gar nicht einverstanden. »Hey«, rief ich, »du kannst dich da jetzt nicht
aus der Verantwortung stehlen.« »Die Sache ist erledigt«, beschied er mir leise in Gedanken.
»Bitte Birgit wenigstens, eine Auskunft über Rolf zum Berg einzuholen«, rief ich schnell. »Ich habe sowieso keine Zeit mehr,
weiter Privatdetektiv zu spielen«, sagte Martin laut. »Morgen gehe ich wieder arbeiten.«
|111| sechs
Martin hatte sich nicht umstimmen lassen und so machte ich mich auf den Weg zum Kloster, um Marlene zu suchen. Ich musste
ihr die schlechte Nachricht von ihrem untreuen Ermittler überbringen, der den Fall mitten in den laufenden Ermittlungen beendete.
Ich suchte natürlich erst in der Kirche, aber – Überraschung! – dort war sie nicht. Im Anbau fand ich sie endlich. Sie schwebte
über den Kreidestrichen, die die Stelle kennzeichneten, wo man ihre Leiche gefunden hatte.
»Hallo, Lenchen«, grüßte ich sie. »Was machst du hier?«
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