Im Kühlfach nebenan
herumgehangen, hätte das nur Aufmerksamkeit erregt. Hatten wir, ganz zu Unrecht, wie sich
herausstellte, gedacht. |190| Martin bildete sich später ein, dass seine Anwesenheit Birgit das nachfolgende Drama erspart hätte, aber das ist natürlich
Quatsch. Martin also sollte, gemäß unserer Planung, einfach neben dem Telefon auf Birgits Anruf warten. Sobald es irgendeinen
Grund zur Besorgnis gab, spätestens aber nach Erledigung ihres Auftrags, würde sie ihn sofort anrufen. Was Martin natürlich
wusste, Birgit aber nicht: Ich würde die ganze Zeit bei ihr sein.
Als Birgit am Klosterplatz ankam, blieb sie verblüfft stehen. Der gesamte Platz sowie die Terrasse des Eiscafés war voller
Menschen. Ein riesiger Sattelschlepper des Westdeutschen Rundfunks war vor der Klostermauer geparkt. Die zum Platz weisende
Längsseite des Aufliegers war aufgeklappt, die Ladefläche als Bühne hergerichtet, auf der mehrere Menschen saßen und eine
Tussi mit Mikrofon und Zetteln in der Hand stand, die mit allen redete und gelegentlich Zuschauer aus dem Publikum nach ihrer
Meinung fragte. Eins der Sitzweiber auf der Bühne war Susanne Gröbendahl von der Nachbarschaftsinitiative. Das Thema der Veranstaltung
war auf einem Banner über den Köpfen der Talkgäste zu lesen und lautete: Obdachlosenasyl in guter Wohnlage?
Birgit stellte sich schräg hinter einen groß gewachsenen Typen mit langen Haaren, langem Bart und einem schmuddeligen grünen
Parka, der die Hände in den Taschen seiner ausgebeulten Jeans vergraben hatte. Er bildete einen ruhenden Pol in der zappelnden
Menschenmasse. Ich hatte den Eindruck, dass Birgit sich hinter ihm versteckte. Keine Ahnung, wieso. Ihr Auftrag lautete eigentlich
anders, aber da ich nicht in ihre Birne schauen kann, musste ich das tun, was ich Martin versprochen hatte: bei ihr bleiben
und wachsam sein.
»Natürlich muss man sich um die Leute kümmern, aber doch nicht ausgerechnet in einem gutbürgerlichen Wohngebiet« |191| , sagte gerade jemand aus dem Publikum ins Mikrofon.
»Hier war aber bis vor fünf Jahren kein gutbürgerliches Wohngebiet«, entgegnete die Rundfunkmieze, die oben auf dem Wagen
offenbar das Sagen hatte. Die Gröbendahl riss förmlich das bereitliegende Zweitmikrofon an sich. »Aber die Stadt hat uns damals,
als wir uns für das Haus interessierten, sehr deutlich gemacht, dass sie sich um eine Verbesserung des Umfeldes kümmern würde.
Das ist bis heute nicht geschehen.«
»Herr Berger von der Stadtverwaltung, was sagen Sie zu diesem Vorwurf?«, fragte die Radiomaus und streckte einem Typen in
einem schlecht sitzenden Anzug ihr eigenes Mikrofon so ruckartig in die Fratze, dass er einen Satz rückwärts machte. Er riss
den Sabbelstock an sich.
»Wir haben das Wohngebiet durch verkehrslenkende Maßnahmen beruhigt. Wir haben Straßenbäume gepflanzt, die dem Gebiet den
traditionellen Charakter einer Siedlung im Grünen zurückgeben. Wir haben die Straßenbeleuchtung ersetzt und dabei die alten,
einfachen Straßenlampen entfernt und stattdessen Laternen im Antikstil installiert. Außerdem hat die Stadt den Spielplatz
saniert und mit neuem Spielgerät bestückt.«
»Das ist ja alles gut und schön …«, rief die Gröbendahl dazwischen.
Der Anzugträger ließ sich nicht unterbrechen. Er näselte einfach weiter. »Die Vorstellung, dass wir als Ordnungsbehörde die
seit mehreren Jahrzehnten bestehende Genehmigung einer Notschlafstelle für Obdachlose anfechten und widerrufen, ist offenbar
erst später entstanden. Von Seiten der Nachbarschaftsinitiative ist dieser Antrag an uns herangetragen worden. Eine derartige
Zusage haben wir aber nie gegeben – und sehen auch aktuell keine Notwendigkeit dazu.«
|192| »Bitte sehr, eine Frage aus dem Publikum.« Die Mikrofonaniererin entriss dem Anzugträger den Laberstab und deutete auf eine
kleine, dicke Frau im Publikum, der ein Helfer ein Mikro an einem fünf Meter langen Ausleger ins Gesicht klatschte.
»Warum sind denn die Nonnen nicht bei Ihnen auf dem Ü-Wagen , um mitzudiskutieren?« »Leider konnten wir keine Vertreterin des Ordens dafür gewinnen, sich an unserer Diskussion zu beteiligen«,
erklärte die Wortführerin. »Wir haben aber eine Erklärung bekommen, die ich jetzt gern verlesen möchte.«
Sie kramte einen zerknitterten Zettel aus einer ihrer Taschen und entfaltete ihn umständlich. »Die Namenspatronin unseres
Ordens ist Maria Magdalena. Von ihr heißt es, sie sei
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