Im Kühlfach nebenan
gedrungen. Eine der Frauen hat ihrer Mutter verraten, wo sie sich
befindet. Ihr seid in Gefahr. Birgit will herausfinden, wann sie diese Information weitergegeben hat und wie. Und wer der
Zuhälter der betreffenden Tussi ist, damit man ihn beschatten kann für den Fall, dass er herausfindet, wo sich sein Pferd…,
äh, seine, äh, Mitarbeiterin versteckt.«
Marlene war so verärgert, dass sie keinem Argument zugänglich war. Sie tobte in einer geradezu weiß glühenden Wutwolke um
mich herum und beschimpfte mich, dass ich Mühe hatte, dem eigentlichen Geschehen zu folgen.
Birgit hatte inzwischen ihre Tasche abgestellt und sich in dem kleinen Zimmerchen ausgiebig umgesehen. Viel gab es ja nicht
zu entdecken. Ein schmales Bett mit Nachttisch, in dessen Schublade – Überraschung! – eine Bibel lag. Ein Tisch, ein Stuhl, ein schmaler Schrank und der allgegenwärtige Jesus, der mit hängendem
Kopf an seinem Kreuz hing und Trübsal verbreitete. Irgendein Scherzkeks hatte einen grünen Zweig hinter das Kreuz gesteckt.
Wenn das als freundliche Frühlingsdeko gedacht war, verfehlte es seine Wirkung aber um galaktische Dimensionen. Das Kraut
war vertrocknet und staubig und sah mindestens genauso tot aus wie der Kerl am Kreuz. Ich konnte Birgits Gedanken nicht lesen,
aber ihr Gesichtsausdruck sprach eine deutliche Sprache. Sie ließ ihre Tasche auf dem Bett stehen und begab sich in den Aufenthaltsraum.
Die anderen begrüßten sie herzlich, stellten sich vor, fragten Birgit nach ihrem Namen und wollten wohl weitere Fragen stellen,
aber Birgit schwieg mit Tränen in den Augen und kniff die Lippen zusammen. Niemand nahm ihr das übel. Vermutlich waren alle
Weiber so depri drauf gewesen, als sie hier ankamen.
|196| »Willst du einen Tee?«, fragte die Wortführerin. Danny, wenn ich richtig aufgepasst hatte. Sie war groß, klapperdürr, hatte
lange, braune Haare und wäre mit zwanzig Kilo mehr auf den Knochen wahrscheinlich sogar hübsch gewesen. So sah sie aus wie
das Anschauungsskelett aus dem Biologieunterricht, dem jemand ein paar Klamotten drangetackert hatte.
Birgit nickte.
»Hast du Familie hier in der Stadt?« Birgit schüttelte den Kopf. »Hast du woanders jemanden, wo du hinkannst?« Birgit nickte.
»Aber«, flüsterte sie, vielleicht weil sie sich schämte, dass sie die Mädels anlügen musste, »aber ich traue mich nicht, allein
hinzufahren. Und abholen kann mich ja niemand, weil ich keinem sagen darf, wo ich bin.« Peinliches Schweigen breitete sich
aus. In dem Moment tauchte Marlene wieder auf. »Ich will, dass sie sofort das Kloster verlässt.«
»Dann sag es ihr doch«, ranzte ich sie an. Verdammt, ich war muffig, weil ich nicht mitbekam, was die Weiber unter mir sabbelten.
»Ich kann keinen Kontakt mit ihr herstellen, wie du weißt«, sagte Marlene eingeschnappt. »Ich auch nicht«, giftete ich zurück.
Das Gespräch im Aufenthaltsraum drehte sich in die richtige Richtung, die Mädels zickten sich gegenseitig an, weil eine ihren
Aufenthaltsort an jemanden Außenstehenden, also an eine Nicht-Hilfebedürftige verraten hatte. Die Petze war nicht Danny, es
war die Kleine, die ich bei meiner Erkundigung belauscht hatte, aber ich konnte wegen Marlenes Geschrei nicht hören, was sie
sich gegenseitig an den Kopf warfen.
In dem Moment flog die Tür auf. Zwei riesige Kerle in schwarzen Lederjacken stürmten in den Raum, vier weitere |197| folgten, jeder griff sich zwei Tussen und zerrte sie an den Haaren oder dem Arm, oder wo er sie gerade zu fassen bekam, auf
den Flur. Dort wurden bereits die anderen Mädels aus ihren Zimmern gezerrt und in Richtung Treppe geschleift. Einige der Nutten
schrien sich die Seele aus dem Leib, aber nicht lange. Auf dem Flur stand ein Typ, der im Akkord Klebeband auf kreischende
Münder klebte. Auf alle, auch die, die vor Schreck still geblieben waren. Ein zweiter fixierte mit Kabelbindern die Hände
der Mädels auf dem Rücken. Als auch das letzte Schreirohr geschlossen war, wurde es geradezu unheimlich still. Nur Marlene
schrie, so laut sie konnte, aber damit machte sie ausschließlich mich wahnsinnig. Ich kreiste wie wild über dem Geschehen
und versuchte den Überblick zu behalten. Was war denn das jetzt für eine Aktion? Ich musste zusehen, dass ich bei Birgit blieb,
die mit weit aufgerissenen Augen, zugeklebtem Mund und gefesselten Händen hinter dem Typ herwankte, dessen linke Hand sich
in ihr langes Haar gekrallt
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