Im Kühlfach nebenan
knappe Stunde dauerte Birgits Undercover-Einsatz, dann eilte sie zum ausgemachten Treffpunkt und erstattete Martin
Bericht. Martin war erst furchtbar erleichtert, sie unversehrt wiederzusehen, und dann mächtig stolz auf sie.
Er ließ sich die drei Namen und die jeweiligen Aussagen über Charakter, anzunehmende Gefährlichkeit und Aufenthaltsort geben,
küsste Birgit wie ein zum Tode Verurteilter auf dem Weg zum elektrischen Stuhl und schlich los.
»Martin wird unsere Hilfe benötigen«, warnte ich Marlene vor.
»Ich weiß.«
Sie überraschte mich heute in ähnlicher Häufigkeit wie das Mariengebet im Rosenkranz vorkommt. Also quasi ständig.
Martin schleppte sich zu der Kneipe, in der er den ersten Jockey mit zu viel Schwund im Stall antreffen sollte, und trat ein.
Dieses Etablissement war, wie Birgit herausgefunden hatte, eine Mischung aus Kneipe und Puff. Der Wirt verdiente sein Geld
ganz normal mit dem Verkauf von schlecht gezapften Getränken, aber die Kunden wussten, dass sie hier, neben den Knabbereien
zum Bier, auch eine Lizenz zum Naschen bekamen. Mindestens ein Loddel war immer anwesend, hockte auf dem äußersten Barhocker,
bekam das einzig volle Glas serviert und wartete auf Nachfrage. Sein Angebot wartete in einer Seitenstraße, in der auch Direktvertrieb
stattfand. Manche Kunden zogen allerdings ein geschäftliches Gespräch von Mann zu Mann in einer Kneipe dem Feilschen auf dem
Straßenbasar vor.
Martin bestellte ein Bier, verglich die Figur auf dem Hocker mit der Beschreibung, die Birgit ihm gegeben hatte, |231| nippte an dem Bier und setzte sich auf den freien Hocker neben dem Zuhälter. Der liebe Martin sah neben dem Zweimetermann
mit Schultern wie ein Ochsenjoch richtig niedlich aus. Marlene und ich positionierten uns unmittelbar hinter Martin, damit
wir ihm bei der Konversation mit Rat und Tat zur Seite stehen konnten.
»Das Bier ist nicht schlecht«, sagte Martin in Richtung Ochse, der unter dem Namen Fatman bekannt war. »Aber von Bier allein
wird ein Mann auch nicht glücklich.« »Zu poetisch«, sagte Marlene. »Zu poetisch«, sagte ich. »Zu poetisch, was?«, echote Martin
laut. Der Ochse nickte. »Berufskrankheit«, sagte Martin. Der Ochse zuckte die Schultern. Er hatte Martin bisher keines Blickes
gewürdigt, sondern seine zusammengekniffenen Augen fest auf einen nicht definierbaren Punkt im oberen Drittel der staubigen
Holzvertäfelung an der gegenüberliegenden Wand geheftet. Sein Bart hing ihm bis auf die Brust, der kahle Schädel sah genauso
staubig aus wie der Rest der Kneipe und die Jeans hatte an den Knien Schnitte mit blutroten Rändern. Birgits Informantin hatte
seine Gefährlichkeit als »durchschnittlich« eingestuft. Was immer das heißen mochte.
»Ich bin nämlich Journalist«, sagte Martin. »Nicht Poet?«, fragte der Ochse, ohne mehr zu bewegen als seine Unterlippe. »Mit
Gedichten lässt sich kein Geld verdienen«, sagte Martin.
»Und jetzt hast du Geld?«, fragte der Ochse. »Ja«, sagte Martin. »Und ich will dir was davon abgeben.«
Der Ochse drehte den Kopf und blickte auf Martin hinab. »Ich nehm’s.«
|232| »Dafür brauche ich eine Information.« »Information ist ein schlechtes Wort«, rief Marlene dazwischen.
Bevor ich diese Weisheit weiterreichen konnte, winkte der Ochse schon ab. »Ich handle nicht mit Information. Ich handle mit
Erfahrungen.« Er nahm die unterbrochene Betrachtung des Punktes an der gegenüberliegenden Wand wieder auf.
Martin überlegte hilflos und hektisch, wie er das Gespräch wieder in die richtige Richtung lenken konnte. »Zuhälter geben
meist damit an, dass sie einem Mann jede Erfahrung bieten können, die er sich in seinen kühnsten Träumen vorstellen kann.
Bei dieser Ehre muss man ihn packen«, sagte Marlene. Sie machte einen Formulierungsvorschlag, ich dolmetschte, Martin sprach
artig nach: »Diese Erfahrung können selbst Sie mir nicht verschaffen.«
Es dauerte geschlagene zweiundzwanzig Sekunden, bis der Ochse Martin wieder ansah. Schweigend. »Ich will eine Story über ein
Frauenhaus schreiben«, sagte Martin.
»Die nehmen dich da aber nicht.« »Eben.«
Wieder Schweigen. »Und nu?«, fragte der Ochse. »Es gibt drei offizielle Frauenhäuser in der Stadt«, sagte Martin. »Über alle
drei gab es schon Reportagen. Aber man munkelt, dass es noch eins gibt. Großes Geheimnis. Fünfhundert Euro für die Adresse.«
»Wie kommst du darauf, dass ich die kenne?«, fragte der
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