Im Labyrinth der Abwehr
Deutschen denunziert: Sie sei nicht die Tochter des Kommissars, da dieser sich zu ihr an der Front sehr förmlich verhalten habe. Überdies hatte der Verräter gehört, daß der Kommissar die Tochter des Obersten aufgenommen habe. Und nun dachte er, daß Nina die Tochter des Obersten sei. Bei den Verhören hatte Nina dies zuerst geleugnet. Doch hatten ihr die Genossen geraten, sich nicht gegen die Gestapo aufzulehnen und sich für die auszugeben, für die man sie hielt. In die Spionageschule sei sie gegangen in der Hoffnung, sobald man sie im Hinterland absetzte, ihre Gefährten mit der Waffe zu erledigen und zu den Sowjets überzulaufen.
Als das Mädchen sagte, daß Weiß sie jetzt der Gestapo übergeben oder nach eigenem Belieben mit ihr abrechnen könne, wußte er im Augenblick keine Antwort. Johann schwankte. Würde ihm Nina glauben? Würde sie, wenn sie erfuhr, wer er war, schweigen?
Er sagte mit gespielter Gleichgültigkeit:
„Und ich dachte, Sie hätten sich verstellt. Aber das ist nicht meine Sache. Ich habe nur den Auftrag, Sie während Ihres Urlaubs zu begleiten. Weiter nichts. Und vergessen Sie nicht: Diese Unterhaltung hat es nicht gegeben. Alles bleibt wie früher. Sie sind Olga. Was Ihre Augen betrifft, so machen Sie sich keine Sorgen, wir werden einen Arzt finden."
„Sie sind selbst nicht der, für den Sie sich ausgeben!"
„Glauben Sie nicht, daß es unter uns Deutschen auch anständige Menschen gibt?"
Er legte ihr die Hand auf die Schulter und bat:
„Bleiben Sie die, die Sie waren. Und versuchen Sie mit der Baronin freundlich zu sein. Sie werden ihre Gastfreundschaft noch mal brauchen."
„Mehr wollen Sie mir nicht sagen?"
„Mehr kann ich nicht."
Sie begann zu weinen.
„Nur noch eine Frage", sagte sie, „eine einzige."
„Na, schießen Sie los. Aber nur eine."
„Wo ist das Kino 'Udarnik'?"
„In der Serafimowitschstraße", sagte Johann.
„Danke", sagte sie und drückte ihm die Hand, „danke, ich bin so ..."
Johann unterbrach sie heftig: „Nun ist aber Schluß, hören Sie. Schluß!”
In regelmäßigen Abständen besuchte Johann die Baronin und überzeugte sich, daß 'sich der Gesundheitszustand des Mädchens mit jedem Tag besserte. Johanns Rat befolgend, erwarb sie durch Bescheidenheit und Dankbarkeit die Gunst der Baronin.
42
Eines Abends versammelte sich bei der Baronin eine kleine Gesellschaft: ältere, mit altmodischer Sorgfalt gekleidete Leute, die sich mit der Ungezwungenheit benahmen, die nur bei Leuten gleichen Standes zu beobachten ist.
Herr Kranz, hochgewachsen, kahlköpfig, mit einem Monokel im linken Auge — das rechte blieb stets verächtlich zusammengekniffen —, war im Krupp-Konzern als Hauptinspektor für die Lenkung von Arbeitskräften angestellt.
Gustav Krupp, persönlicher Freund des Führers, hatte 1933 einen Adolf-Hitler-Fonds gegründet und der Partei riesige Summen zukommen lassen. Kranz hielt deshalb den Führer nicht ganz grundlos für einen Schuldner der Firma Krupp.
Kranz hielt sich im Generalgouvernement auf, um in Auschwitz den Bau eines Werkes zu leiten, das Teile für eine automatische Waffe herstellen sollte. Als Arbeitskräfte hatte er von der SS-Leitung Häftlinge angefordert und die von ihm ausgewählten Leute in ein besonderes Konzentrationslager der Firma bringen lassen. Für jeden Häftling mit passendem Beruf zahlte er der SS vier Mark, für diejenigen, die keinen Beruf hatten, drei Mark.
Da die Mehrzahl der ausgesuchten Häftlinge Kranz nicht allzuviel Sicherheit einflößte, hatte er im Vertrag eine besondere Klausel untergebracht: Die Beseitigung der Zusammengebrochenen oblag der Lagerverwaltung, überdies mußte für die Ausgeschiedenen kostenloser Ersatz geliefert werden.
Obwohl ein anderer Gast der Baronin, Herr Schick, ein konkurrierendes Unternehmen vertrat, das die Interessen des IG-FarbenKonzerns wahrnahm, gab sich Kranz gutmütig und aufgeschlossen.
Die Chemiewerke des Farbenkonzerns beschäftigten außer Häftlingen auch Leute, die man aus vielen Ländern Europas gewaltsam in das besetzte Polen gebracht hatte. Schick, im Gegensatz zu Kranz, war äußerst bewegt und erregt, da er der Ansicht war, daß das Vorrecht bei der Auswahl von Arbeitskräften der IG-Farben zustehe, die bereits lange vor dem Krupp-Konzern in Auschwitz ein Werk gegründet hatte. Doch da er wußte, welches Verhältnis den Führer mit Gustav Krupp verband, so lobte er das Geschäftstalent von Herrn Kranz und verbarg hinter einem Schwall
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