Im Labyrinth der Abwehr
klopfte ihm gutmütig mit dem Handschuh auf die Schulter und verließ das Abteil.
Der Zug rollte durch die Felder Polens, die jetzt, eine Kriegsbeute, zum Gebiet des Dritten Reichs gehörten.
An einer kleinen Station hielt der Zug an. Die Reisenden drängten sich an die Fenster. Aus einem der hinteren Waggons wurden zwei eigenartig schwere, nasse Säcke herabgeworfen. In diesem Augenblick sah Johann, daß es sich nicht um Säcke, sondern um Menschen handelte. Zwei blutbefleckte Männer mit auf den Rücken gebundenen Händen erhoben sich langsam und schauten mit geschwollenen Augen auf die sie anstarrenden Reisenden. Um den Hals an einem weißen, sauberen Strick trugen beide die gleichen Schilder, auf denen in Deutsch und Polnisch geschrieben war „Polnischer Spion".
„Heh! Heh!" rief der Oberleutnant. „Bewegung da!" Ein Begleitsoldat stieß einen der Gefangenen mit dem Kolben.
„Schneller. Schneller!" schrie der Oberleutnant, und den Reisenden, die mit entsetzten Gesichtern dem Geschehen folgten, zugewandt, befahl er gereizt:
„In die Wagen! Auf die Plätze! Munter, munter!"
Überstürzt drängten sich die Reisenden auf ihre Plätze. Der Zug ruckte, fuhr an und rollte weiter in Richtung Westen.
Als Johann sich ein wenig beruhigt hatte, beschloß er, Heinrich, der in einem Wagen erster Klasse reiste, aufzusuchen und sich mit ihm auszusprechen, denn vor der Abreise hatten sie miteinander Streit gehabt. Auf dem Bahnhof hatten sie sich nicht getroffen.
Als Heinrich Schwarzkopf zusammen mit Papke den Bahnhof betrat, wurde er dort von Goldblatt erwartet.
Heinrich wurde verlegen, als er Goldblatt sah. Doch der Professor erklärte seine Verlegenheit auf eigene Art, in einem für Heinrich günstigen Sinne. Er sagte:
„Ich verstehe dich, Heinrich. Aber Berta ist jähzornig. Ich bin sicher, daß sie in diesem Augenblick Schmerz über eure Trennung empfindet."
Unter dem Arm trug der Professor eine dicke Mappe, in der sich die Arbeiten befanden, die Funk erst kürzlich aus der Wohnung des Professors hatte holen wollen. Jetzt hatte sich der Professor entschlossen, einige seiner besonders wertvollen Aufzeichnungen dem Sohn seines verstorbenen Freundes zum Geschenk zu machen.
„Nimm, Heinrich. Du kannst meine Zeichnungen irgendeiner Firma anbieten. Wenn du dort Schwierigkeiten hast und wieder nach Hause zurückkehren willst ..."
„Ich möchte nichts von Ihnen."
„Aber du wolltest sie doch haben! Hast du es nicht auf anderem Wege versucht, ohne mich?"
Papke schritt auf Goldblatt zu:
„Erlauben Sie, Professor. Er begreift einfach nicht, was für ein wertvolles Geschenk Sie ihm machen wollen."
„Nein", sagte der Professor. „Ihnen gebe ich sie nicht" Er drückte die Mappe an die Brust.
„Gehen wir", sagte Heinrich schnell und stieß Papke derart vor die Brust, daß dieser fast das Gleichgewicht verlor.
„Armer Heinrich", sagte der Professor. Und er wiederholte: „Armer Junge."
Berta, die ihrem Vater auf den Bahnhof gefolgt war, lief auf ihn zu, und ohne Heinrich anzuschauen, nahm sie ihrem Vater die Mappe ab und führte ihn auf den Bahnhofsvorplatz hinaus.
„Vater", sagte sie bitter, „in Berlin wird er sich eine Hakenkreuzbinde an den Ärmel heften und weit mehr mit seinem Onkel, dem Sturmbannführer Schwarzkopf, prahlen als mit seinem eigenen Vater, dem Ingenieur Schwarzkopf, der dich seinen Freund nannte."
„Nein, Berta, nein. Trotz allem hat er es nicht fertiggebracht, von mir die Mappe zu nehmen."
Johann ging durch den ganzen Zug und klopfte schließlich vorsichtig an der Tür eines Abteils erster Klasse.
Heinrich lächelte ihm zurückhaltend zu, stellte ihn nachlässig einer älteren Dame mit gelblichem, schwammigem Gesicht vor und fragte: „Na, wie reisen wir?" Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich seiner Reisegefährtin zu: „Baronin, wenn Sie einen ausgezeichneten Chauffeur brauchen, mein Vater war mit ihm sehr zufrieden."
Obwohl die Schwarzkopfs keinen eigenen Wagen besaßen und Johann ihnen folglich gar nicht als Chauffeur hatte dienen können, stand er auf und verbeugte sich diensteifrig vor der Dame. Sie blickte ihn an und sagte seufzend:
„Schade, daß er so jung ist, er wird zu den Soldaten müssen. Ich habe nicht genügend Verbindungen, um Leute vom Wehrdienst zu befreien."
„Und der Generalfeldmarschall?" erinnerte Heinrich.
„Sicher, ich habe Verwandte in allen Adelsfamilien Deutschlands, aber ich weiß nicht, in welcher Beziehung sie zu unserem Führer
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