Im Labyrinth der Abwehr
stehen. Der Kaiser zeichnete sich durch keinen großen Geist aus, aber trotzdem besaß er genügend Verstand, um den Adel hochzuschätzen.
„Ich versichere Ihnen", fiel Heinrich lebhaft ein, „daß der Führer unveränderlich auf die Unterstützung des Adels baut."
„Schon, schon", pflichtete die Baronin bei. „Aber warum nennt er dann seine Partei nationalsozialistisch? Sozialistisch — das klingt so beunruhigend."
Schüchtern wandte Johann ein:
„Wenn ich Ihnen versichern darf, Frau Baronin, unser Führer springt mit den Kommunisten weit entschiedener als der Kaiser um."
Die Baronin blickte Johann mißtrauisch an.
„Wenn ich Sie als Chauffeur einstelle, dann nur unter der Bedingung, daß Sie nicht über Politik sprechen. Nicht einmal mit dem Zimmermädchen", fügte sie, die dichten Brauen hochziehend, hinzu.
„Ich bitte für ihn um Entschuldigung", nahm Heinrich Johann in Schutz. „Er wollte Ihnen nur etwas Angenehmes sagen."
Nachdem er sich vor der Baronin verbeugt hatte, trat Johann in den Gang hinaus. Ein wenig später öffnete er, ohne anzuklopfen, die Tür zu Papkes Abteil. Papke hatte dieses Abteil für sich allein.
Johann fragte:
„Soll ich Ihnen den Koffer bringen?"
„Ja, natürlich. Hat man was rausgenommen?"
„Es ist noch alles da."
„Mich haben sie mächtig ausgenommen", beklagte sich Papke.
„Etwas Wertvolles?"
„Wo denkst du hin!" Plötzlich wurde er ärgerlich und sagte: „Ich wette, daß sie für Verstecke einen besonderen Spürsinn haben!" Dann schlug sein Ton um: „Aber ich habe sie doch an der Nase rumgeführt. Dieser Dingsda im Tirolerhut hat sich als wahrer Freund erwiesen. Als sie mich gründlich untersuchten, bat ich ihn, mein Gebetbuch zu halten. Ich sagte, ich wolle nicht, daß gottlose Finger so ein heiliges Buch berührten."
„Was für eine Gewissenhaftigkeit!"
„Dieses Buch ist für mich wertvoller als alle Heiligen Schriften zusammen." Und das kleine, in schwarzes Leder gebundene Büchlein aus der Tasche holend, fuhr er mit der Hand zärtlich darüber.
„In diesem Falle", sagte Johann, „haben Sie unvorsichtig gehandelt. Es einer unbekannten Person zu geben!"
„Ich weiß. Aber was sollte ich tun? Es gab keine andere Lösung. Meine Version war schließlich sehr überzeugend, und der im Tirolerhut hat augenblicklich geschaltet."
Und ob, dachte Johann. Bruno hat dich längst durchschaut. Und du kannst ganz beruhigt sein, Bruno hat dein Gebetbuch nicht unbeachtet gelassen.
Wieder in seinem Abteil, dachte Johann unwillkürlich an Bruno. Schade, daß er ihn nur bis zur Grenze begleitet hatte. Mit solch einem Menschen würde man sich überall sicher fühlen, selbst dort, im faschistischen Deutschland.
Johann wußte nicht, daß Bruno früher in Deutschland gelebt hatte. Einige führende Staatsmänner des Dritten Reiches kannten den namhaften Trainer Bruno Motze, der nicht wenigen bedeutenden Persönlichkeiten Unterricht in der Kunst des Reitens gab. Sie wußten nur nicht, daß er diese Kunst schon in den Jahren des Bürgerkrieges als Soldat der Ersten Reiterarmee beherrschte. Motze handelte auch mit Rennpferden und hatte so die Möglichkeit, mit Offizieren des deutschen Generalstabes zusammenzukommen. Er verließ Deutschland Anfang 1935 keineswegs deshalb, weil er fürchtete entdeckt zu werden. Es war nur so, daß seine Meldungen über die deutschen Streitkräfte erheblich von den Vorstellungen seiner unmittelbaren Vorgesetzten abwichen. Außerdem übertrieb er die Rolle der Panzer in einem zukünftigen Kriege zu sehr, wie seine Vorgesetzten meinten. Und da er sich vom Gegenteil nicht überzeugen lassen wollte und man den Pferdehändler disziplinarisch nicht belangen konnte, entließ man ihn wegen einer Geringfügigkeit.
All das wußte Johann nicht. Er erinnerte sich an ihn als an seinen Ausbilder, der seine ersten Schritte ins Unbekannte gesichert hatte.
In den Informationsbroschüren hatte Bruno dick mit Blaustift die Fälle unterstrichen, wo viele erfahrene Kundschafter deshalb hochgegangen waren, weil sie sich in Augenblicken völliger Sicherheit, der dauernden Anspannung müde, eine kurze Ruhepause erlaubt hatten. Er hatte geduldig und ausführlich bei jedem Fehler verweilt, zu den gelungenen, klugen Operationen, so hervorragend sie auch waren, gab er einen merkwürdigen Kommentar:
„Das ist alles schon beackerter Boden, eingegangen in die Annalen ... Wirksam ist nur das, was einmalig ist. In unserem Fach ist Erfindungskraft genauso
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