Im Labyrinth der Abwehr
Vorsicht, nicht einmal mehr mit ihm offen sprechen zu wollen.
Eines Tages meldete Subow Weiß, daß Heinrich fordere, Hönig solle eine Begegnung mit einem sowjetischen Kundschafter arrangieren. Er verfüge über wichtige Informationen und wolle sie dem Russen persönlich übergeben.
„Gut", sagte Weiß, „ich werde mich mit ihm treffen."
„Laß mich gehen", schlug Subow vor. „Vielleicht ist es noch zu früh, mit offenen Karten zu spielen. Man soll nicht alles riskieren." Weiß ging dennoch.
Die Uferpromenade der Weichsel war leer. Trotz des sonnigen, heißen Wetters waren nur Deutsche am Strand. Johann stützte sich auf die Brüstung und schaute aufs Wasser, auf dem große Ölflecken schwammen.
Als Heinrich näher kam, drehte er sich lächelnd zu ihm um. Heinrich schien über diese Begegnung nicht sehr erfreut, sein Gesicht drückte Arger aus.
„Entschuldige", sagte Heinrich, „aber ich habe manchmal das Bedürfnis, mit mir allein zu sein."
„Mit anderen Worten, du willst mich loswerden?"
„Du kapierst erstaunlich schnell", sagte Heinrich spöttisch.
Weiß streckte die Hand aus und knöpfte den dritten Knopf von Heinrichs Uniformjacke auf, dann den gleichen Knopf bei sich und sagte:
„Scheint, wir sind heute beide nachlässig."
Heinrich starrte ihn erstaunt an.
„Nun!" befahl Johann.
„Rhein!" flüsterte Heinrich automatisch.
„Wolga."
„Das kann nicht sein!"
„Wieso nicht?"
„Wie ist das möglich: du auf einmal ...?"
„Ich verstehe dich. Brauchst du Beweise?"
Heinrich nickte.
„Hier lies!" befahl Johann und gab Heinrich einen Stoß dünner Blätter. „Das ist die Abschrift des Untersuchungsergebnisses in Sachen Rudolf Schwarzkopf. Hier ist das Geständnis Papkes. Erinnerst du dich an Papke? Ich habe es so eingerichtet, daß man diesen Schurken hinter den Linien mit dem Fallschirm hat abspringen lassen. Unsere haben ihn gleich bei der Landung gefaßt. Für die sowjetischen Untersuchungsorgane ist er nur als Mittäter an der Ermordung eines sowjetischen Bürgers, deines Vaters, von Interesse."
„Mein Vater war kein Sowjetbürger!"
„Hier ist die Fotokopie eines Briefes von deinem Vater, in dem er der lettischen Regierung mitteilt, daß er beschlossen habe, die sowjetische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Lies, ich lasse dich einstweilen allein."
Als Johann zurückkam, saß Heinrich wie erstarrt da. Sein Gesicht war blaß. Seine Augen blickten grausam.
„Ich bringe ihn um!”
„Ich verbiete dir das! Willi Schwarzkopf wird von sowjetischen Behörden verurteilt werden, und Papke wird seine Aussage vor Gericht wiederholen."
„Wann?"
„Das hängt teilweise auch von uns ab."
„Warum hast du mir das alles bisher verschwiegen?"
„Ich wollte, daß du deine Entscheidung fällst, nicht nur, weil Willi deinen Vater ermordet hat. Ich wollte, daß du begreifst, warum er ihn ermordet hat: Dein Vater kompromittierte Willi, störte dessen Karriere. Ich wollte, daß du deine Entscheidung hauptsächlich deshalb fällst, weil diese ganze Welt, die Welt Willis und seinesgleichen, dir feindlich geworden ist. Was wärst du denn, wenn du nur aus einem Gefühl der Rache zu uns gekommen wärst?"
„Und was soll ich sein?"
„Ein Mensch, der aus Überzeugung zum Wohle seines Landes handelt."
„Und dazu muß ich bei der Zerschlagung Deutschlands helfen?"
„Bei der Befreiung des deutschen Volkes — mit unserer Hilfe."
„Und dann? Dann werden die Eroberer den Deutschen ihren Willen aufzwingen?"
„Dann wird das deutsche Volk seinen eigenen Willen äußern. Der sowjetische Staat wird die Entscheidung des Volkes bedingungslos anerkennen."
Heinrich unterbrach Johann:
„Aber du hast dich doch schon vor dem Krieg auf die sowjetische Seite geschlagen, weil du Kommunist bist, nicht wahr?"
„Ich bin Russe", sagte Weiß einfach.
Heinrich sprang auf.
„Das ist nicht wahr!"
Johann geriet in Verwirrung.
„Was heißt, das ist nicht wahr?"
„Als ich dich nach Berlin wiedersah, war ich ein SS-Mann, und trotzdem hast du mich wie einen alten Freund empfangen und dich gefreut. Aufrichtig gefreut. Das weiß ich."
„Ja, das stimmt."
„Wie ist das möglich: Ich bin dein Feind, ein Deutscher, SS-Mann, du ein russischer Kommunist, und auf einmal ...”
„Ich wußte, daß in dir Gutes steckt. Es ist der unverzeihlichste Fehler eines sowjetischen Kundschafters, wenn er es nicht versteht, im Feind den Menschen zu sehen."
„Aber trotzdem fällt es mir schwer, zu glauben, daß du Russe
Weitere Kostenlose Bücher