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Im Labyrinth der Abwehr

Im Labyrinth der Abwehr

Titel: Im Labyrinth der Abwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wadim Koshewnikow
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noch etwas zu sagen?"
    „Nur ein paar Worte", erklärte Weiß spöttisch lächelnd. „Ich habe bei einem unserer Agenten in Bern einen an Schellenberg gerichteten Brief zurückgelassen, in dem die Vermutung einer solchen Intrige gegen mich geäußert wird, auch die Gefahr, die mir von seiten Herrn Müllers droht. Davor hat mich der Agent der Abwehr, Major Steinglitz, gewarnt."
    Wie sehr auch Weiß versuchte, nicht an die Hinrichtung zu denken, sein Bewußtsein gehorchte ihm nicht.
    Er wußte, daß er von den Deutschen als sowjetischer Kundschafter hingerichtet werden konnte. Doch als Johann Weiß hingerichtet zu werden, darauf war er nicht vorbereitet. Die Unsinnigkeit eines solchen Todes verbitterte ihn.
    Abwechselnd erschienen zwei Männer in seiner Zelle. Der eine, ein Jurist von widerlicher Höflichkeit, kam einmal in der Woche. Geduldig und hartnäckig versuchte er Weiß zu überreden, ihm alles mitzuteilen, was er über die Tätigkeit von Schellenbergs Agenten in Bern wußte. Dafür versprach er ihm Begnadigung.
    Der zweite kam nur am Freitag, dem Tag der Hinrichtungen. Er war klein, breitschultrig, hatte einen dicken Hals, einen vorstehenden Bauch und ein unbewegliches, starres Gesicht.
    Wenn er hereinkam, prüfte er zuerst, ob die Hände des Gefangenen genügend fest gefesselt waren. Dann zog er seine Jacke aus, legte sie ordentlich auf den Hocker, krempelte die Ärmel hoch, zog dicke Boxhandschuhe an und schlug zwanzig Minuten stumm auf Johann ein. Danach setzte er sich, holte Atem und schlug wieder auf ihn ein.
    Weiß zwang sich dazu, in den Pausen mit diesem Menschen zu sprechen. Er wollte nicht in Apathie verfallen. Während sich sein Peiniger ausruhte, auf dem Bett saß, erzählte Weiß, der sich erschöpft an die Wand lehnte und seine zerschlagenen Lippen dabei kaum bewegte, Fälle, in denen Hunde ihrem Herrn äußerste Treue erwiesen hatten, von ihrem Verstand und ihrer erstaunlichen Fähigkeit, die Stimmung ihres Herrn zu erraten. Er hatte einmal in der Jackentasche seines Folterers ein Hundehalsband entdeckt und beschlossen, diesem Menschen durch ein Gespräch über Tiere näherzukommen. Doch dieser hörte nur schweigend zu, erhob sich dann mit einem Seufzer und schlug wieder zu.
    Nach drei Wochen erklärte er, seine Besuche seien beendet. Er gab Weiß die Hand und flüsterte: „Haben Sie bemerkt, daß ich keine inneren Organe beschädigt habe? Und warum? Weil Sie die gleiche Schwäche haben wie ich. Von allen Lebewesen ist mir der Hund am liebsten."
    Die Prügeleien hörten auf, ebenso die Besuche des höflichen Juristen, der zu Weiß sagte:
    „Als Psychologe verstehe ich Sie. Sie wissen so sehr über unsere gemeinsamen Methoden Bescheid, daß bei Ihnen der Vertrauenskomplex völlig verkümmert ist und ich infolgedessen keinen Kontakt zu Ihnen bekomme."
    Einige Tage ließ man Weiß in Ruhe, dann, eines Morgens, weckte man ihn, zog ihm ein kragenloses Hemd an, band ihm die Hände auf den Rücken und führte ihn ab. In seiner Gegenwart wurden vier Männer hingerichtet. Doch als Weiß und der neben ihm Stehende bereits die Köpfe hoben, damit man ihnen die Säcke überstülpte, wurden sie zurück in ihre Zellen geführt.
    Danach wurde Weiß immer wieder zur Hinrichtung geführt. Und immer wieder in seine Zelle gebracht.
    Nach diesen nicht stattgefundenen, aber dennoch erlebten Hinrichtungen verfiel Johann in den Zustand völliger Gleichgültigkeit. Als er sich dessen bewußt wurde, spannte er seine ganze Willenskraft an. Er durfte sich nicht gehenlassen. Er mußte wie ein Tschekist handeln.
    Jeden Tag gab er sich eine neue Aufgabe. In Gedanken machte er weite Spaziergänge in die Umgebung Moskaus, bemühte sich, sich an jede Einzelheit zu erinnern, an jeden Seitenweg, an jedes Haus, an jeden Menschen, den er getroffen hatte.
    Und dann schwankte er: Sollte er vielleicht doch nachgeben? Alles erzählen, was er über die Geheimdiplomatie Schellenbergs wußte, um sich damit wenigstens eine zeitweilige Freiheit zu erkaufen? Sorgfältig erwog er das Für und Wider, und er kam zu dem Schluß: Wenn man ihn bis jetzt noch nicht hingerichtet hatte, dann nur deshalb, weil man etwas Bestimmtes von ihm erfahren wollte.
    Nach einigen Wochen brachte man Johann in eine Gemeinschaftszelle. Neben Wehrmachtsangehörigen waren hier auch Leute in Zivil.
    In einiger Entfernung von den übrigen saß ein Zivilist an der Wand. Sein blutiger Kopf hing kraftlos auf die Brust herunter, er war bewußtlos, doch keiner beachtete

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