Im Labyrinth der Abwehr
ihn.
Johann goß Wasser in eine Blechkanne, nahm einen Stoß Papier, den er neben dem Kübel fand, drehte ihn zu festen Kugeln, zündete sie an und erwärmte auf diesem winzigen Feuer das Wasser in der Kanne. Dann wusch er den Kopf des Verwundeten, riß vom Saum seines Unterhemdes lange Streifen ab und verband ihm den Kopf.
Weiß bemerkte, daß die Gefangenen aufmerksam seinen Bewegungen folgten. Als er fertig war, stand er auf und bemerkte trocken:
„Meine Herren, es ist nicht Soldatenart, einem Verwundeten Hilfe zu verweigern."
„Was? Soll das eine Belehrung sein?" fragte ein hellblonder Offizier gereizt.
„Ja, wenn Sie so wollen. Übrigens, sparen Sie Ihre Nerven, Sie brauchen sie noch.”
Er ging zu dem Bett, wo mit angezogenen Beinen ein grauhaariger Offizier saß, offenbar der Rangälteste hier, nahm Haltung an und stellte sich vor:
„Oberleutnant Johann Weiß, zum Tode verurteilt durch Erhängen."
„Schon?" sagte der Offizier nur.
Plötzlich hörte Weiß vom oberen Bett die erstaunte Stimme Hugo Lembergs:
„Mein Gott! Sie leben?"
Hugo sprang vom Bett herab und umarmte ihn.
„Sie benehmen sich so ... Ja, wissen Sie denn nicht, was passiert ist?"
Weiß schüttelte den Kopf.
„Erinnern Sie sich noch an Oberst Stauffenberg, mit dem ich Sie bekannt gemacht habe?"
Weiß nickte.
„Er hat ein Attentat auf den Führer verübt, aber ohne Erfolg: Die Bombe explodierte zwar, aber Hitler kam davon."
Hugos Gesicht zuckte, seine Pupillen weiteten sich, er flüsterte: „Sie können sich nicht vorstellen, wieviel Verrat und Feigheit sich bei dieser Verschwörung gegen Hitler gezeigt hat! Ich kam nicht mehr dazu, mich zu erschießen. Und jetzt hängen sie mich."
„Und Stauffenberg?"
„Ihn hat man zusammen mit den übrigen erschossen. Seine letzten Worte waren: 'Es lebe das ewige Deutschland!' Ich an seiner Stelle hätte: 'Es lebe das Großdeutsche Reich!' gerufen."
„Dazu werden Sie noch Gelegenheit haben", sagte Weiß mit Zurückhaltung.
Durch dieses Gespräch mit Hugo und sein energisches und besonnenes Verhalten erlangte Johann das Vertrauen der übrigen Häftlinge. Sie wählten ihn zum Stubenältesten.
Er schlug vor, den Verwundeten und Geschlagenen die Plätze auf den Betten zu überlassen.
Einige Gefangene hatten ihre Trauringe behalten können. Weiß riet, sie zur Bestechung der Aufseher zu benutzen, um Briefe an die Angehörigen schicken zu können.
Er bemühte sich nach allen Kräften, den gefangenen Offizieren den Aufenthalt in der Zelle zu erleichtern.
Im Lauf der ersten Woche wurde fast ein Drittel der Inhaftierten zur Hinrichtung geführt.
Hugo Lemberg erzählte Weiß, daß die zentrale Gruppe der Verschwörung bis Ende 1943 gegen die Ermordung Hitlers war, aus der Befürchtung, daß dies den antifaschistischen Kampf der breiten Massen entfesseln könnte.
Das Attentat auf Hitler sollte mit der Landung der Alliierten zusammenfallen. Die neue Regierung sollte die Truppen von der Westfront abziehen. Die Armeen der Alliierten, die Deutschland besetzten, sollten eine eventuelle antifaschistische Erhebung im Keim ersticken. So wären die Truppen der Wehrmacht für einen Gegenangriff im Osten frei geworden.
„Aber Stauffenberg", sagte Hugo, „war ein Gegner der Kapitulation Deutschlands vor den USA und England. Seiner Ansicht nach hätte das als eine allgemeine militärische Niederlage Deutschlands aufgefaßt werden können. Er war gegen eine Besetzung Deutschlands; die antifaschistischen Kräfte hätten von der deutschen Armee selbst unterdrückt werden sollen, um auf diese Weise den Volksmassen den gebührenden Respekt vor der neuen Regierung einzuflößen. Die typische Naivität des Militärs!" schloß Hugo spöttisch.
„Wirklich?"
„Unbedingt. Wir Militärs hätten uns von Anfang an auf die einflußreichsten Kräfte Deutschlands stützen müssen, dann hätte unser Putsch die notwendige Garantie gehabt."
„Und wer sind diese Kräfte?"
„Die Industriellen natürlich. Aber leider waren unter ihnen viele, die gegen eine Ablösung Hitlers waren. Sie erinnerten sich noch gut, wie rigoros er seinerzeit mit den Kommunisten abgerechnet hatte und mit welcher Konsequenz er die völlige Unterordnung der Kräfte der Nation unter die Interessen der Großindustriellen verwirklichte. Übrigens scheint es bis, zu Himmler gedrungen zu sein, daß einige unserer Generäle schwankten, ob sie ihn als neuen Führer anerkennen sollten oder nicht. Ich glaube, wenn das Attentat auf Hitler
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