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Im Labyrinth der Abwehr

Im Labyrinth der Abwehr

Titel: Im Labyrinth der Abwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wadim Koshewnikow
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fest. „Aber merken Sie sich, die Schüchternen und Ungeschickten sterben zuerst."
    „Was sollen diese düsteren Gedanken an einer so fröhlichen Tischrunde", bemerkte Johann automatisch.
    „Um die ist mir nicht schade. Nein! Ich kann Leuten nicht nachtrauern, die nicht kämpfen können oder wollen."
    Salbungsvoll sagte Johann:
    „Wir sind alle sterblich, mein Fräulein, aber unsere Seelen sind unsterblich. Und dort oben wartet auf uns der Allerhöchste.
    „Unsinn!" rief sie mit leichtem Ekel aus. „Niemand wartet auf uns irgendwo!"
    „Angelika!" erinnerte Frau Bucher freundlich vom entgegengesetzten Tischende. „Leg doch bitte Herrn Weiß etwas vor."
    Angelika drehte nicht einmal den Kopf in ihre Richtung. Sie murmelte nur zwischen den weißen Zahnreihen hervor:
    „Ich soll mit den Männern wieder Süßholz raspeln, nicht wahr?" Dann, nach einem kurzen Zögern, sagte sie ernsthaft: „Wir gehören einer Generation an. Unseren Eltern hat die Niederlage jenes Krieges die Seele getötet. Wir haben das Recht, dafür Rache zu nehmen. Ja, grausame Rache zu nehmen", wiederholte sie.
    „An wem?" fragte Weiß.
    „An allen. Allen."
    „Sind Sie Mitglied des Bundes Deutscher Mädchen?"
    „Ja", antwortete Angelika energisch.
    Frau Bucher fragte mit lauter Stimme interessiert: „Worüber unterhält sich die Jugend?"
    Johann lächelte und fragte genausolaut zurück: „Gestatten Sie, Frau Bucher, daß ich dieses Glas auf die Gesundheit Ihrer Tochter erhebe?"
    Die Gäste klatschten Beifall.
    Angelika warf einen unzufriedenen Blick auf Johann und flüsterte: „Äußerst freundlich von Ihnen."
    Danach kehrte sich das Mädchen demonstrativ zu ihrem anderen Nachbarn um und sprach nicht mehr mit Johann.
    Frau Bucher, die alle scharf im Auge behielt, sah plötzlich, daß zwischen ihrer Tochter und Weiß etwas vorgefallen war. Sie fragte laut:
    „Herr Weiß, wollten Sie nicht eine Garage oder eine Autoreparaturwerkstatt erwerben?"
    Johann begriff, daß Frau Bucher ihren Gästen zu verstehen geben wollte, was für ein tüchtiger junger Mann er war. Um sich vor diesen Leuten von der besten Seite zu zeigen, begann er begeistert über seine Zukunftspläne zu sprechen.
    Doch seine Worte hinterließen bei den Gästen einen gegenteiligen Eindruck. Er mußte sich eingestehen, daß er einen Fehler gemacht hatte. Er hatte die reiche Erfahrung, die die Anwesenden in der Heuchelei besaßen, unterschätzt. Nicht nur, daß diese Leute selbst ständig heuchelten, sie bemerkten auch die geringste Erscheinung der Heuchelei bei anderen.
    Johann erfaßte sehr schnell den Sinn dieses ironischen Schweigens, mit dem die Gäste ihm zuhörten. Ja, er hatte einen Fehler gemacht, vor, dem ihm sein Ausbilder mehr als einmal gewarnt hatte: Er hatte die Selbstkontrolle verloren, hatte sich von seiner Phantasie treiben lassen, hatte das Gefühl für die realen Bedingungen verloren.
    Während er noch sprach, suchte er angestrengt nach einem Hintertürchen, um dieser gefährlichen Lage zu entschlüpfen. Er lächelte plötzlich freundlich und fragte:
    „Wie haben Ihnen diese Träume eines versponnenen deutschen Michels gefallen?" Und ernsthaft fügte er hinzu: „Was mich betrifft, so werde ich dort sein, wo es die Interessen des Reiches verlangen."
    „Bravo", sagte Frau Bucher, „Sie haben uns einen geschickten Streich gespielt, Herr Weiß."
    Danach versiegte das Interesse für ihn, niemand wandte ihm mehr seine Aufmerksamkeit zu.
    Auf sich selbst angewiesen, setzte sich Johann an ein Tischchen in die Ecke und blätterte ein Album mit farbigen Ansichtskarten durch. Auf einer von ihnen sah er den ihm vertrauten Rigaer Hafen ... Seine Gedanken trugen ihn unwillkürlich in diese Stadt zurück. Er erinnerte sich an Lina Jord, die Tochter eines Schiffsmechanikers und Studentin am Technikum, ein Mädchen mit einem glatten Puppengesicht, zierlich und klein, mit einer winzigen Schirmmütze auf den blonden Haaren, mit nachdenklichen, dunkelgrauen, strengen Augen.
    Sie hatte Johann wegen seiner Anhänglichkeit, die er gegenüber allen Veranstaltungen des Deutsch-Baltischen Volksbundes zeigte, Vorwürfe gemacht.
    „Es kommt mir so vor", hatte sie spöttisch gesagt, „als ob Sie dem Typ ähnlich werden wollen, der sich alle Mühe gibt, den Braunen im Reich zu gleichen."
    „Ich finde es bloß angenehm, im Kreis meiner Landsleute zu sein"
    „Merkwürdig", hatte sie mißtrauisch gesagt. „Sie sind ein so ernsthafter und, wie mir scheint, denkender Mensch, und

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