Im Labyrinth der Abwehr
und wirkte allumfassend. Es schloß alles Wertvolle aus den Erfahrungen des ersten Weltkrieges in sich ein. Die Reichswehr hatte dieses System bereits bis zur Vollkommenheit entwickelt.
Die Siegermächte hatten zu ihrer Zeit in Deutschland ein hochqualifiziertes Spionagenetz aufgebaut, das von Regierungsbevollmächtigten geleitet wurde und Weltruf hatte. Und dennoch gelang es der Reichswehr, vieles vor ihren wachsamen Augen zu verbergen. Dies verdankte man dem ausgezeichneten System zur Wahrung von Kriegsgeheimnissen und dem hervorragend ausgebildeten Personal, das es verstand, die Zunge im Zaum zu halten; jeder wußte, daß jeder beliebige Fehler mit einem unbarmherzigen und sofort vollstreckten Urteil des Kriegsgerichts gesühnt wurde.
Alle Versuche Johanns, Gespräche mit den unteren Dienstgraden anzuknüpfen, in das Vertrauen der Soldaten einzudringen, endeten erfolglos. Entsprechend der Anweisung Kellers hatten die Chauffeure des Fuhrparks nicht das Recht, sich gegenseitig die Strecken ihrer Fahrten mitzuteilen. Doch Johann mußte diese Wand, die die Truppenverschiebung der deutschen Einheiten verbarg, durchstoßen. Und er durchstieß sie. Auf ziemlich einfache Weise.
Keller hatte Weiß beauftragt, bestimmte Papierabfälle verschiedener Behörden zu einer außerhalb der Stadt liegenden besonderen Abfallverbrennungsanlage zu fahren.
Schon die ersten Fahrten brachten ihm das, was er so lange und vergeblich gesucht hatte. Er fand Ausschnitte aus ausländischen Zeitungen, Illustrierten und alte Frachtbriefe, studierte sie aufmerksam und ordnete sie.
Es war nicht schwer zu erraten, was diese oder jene Meldung in den Zeitschriften aus den von Deutschen besetzten Ländern bedeutete. Unter anderem wurde bestätigt, daß sich in Polen deutsche Stabseinheiten befanden, die früher in diesen Ländern gewesen wären.
Bald jedoch verlor er diese Informationsquelle und bedauerte das sehr, wie wenig anziehend diese Arbeit auch war. Er mußte wieder Stadtfahrten machen.
Wenn Johann allein im Wagen war, nahm er gern irgendeinen Wehrmachtsangehörigen mit. Seine Mitfahrer entschädigten ihn für diese Freundlichkeit mit einer kleinen Plauderei. In den kurzen, aber heftigen Diskussionen über die Vorzüge dieser, oder jener Waffengattung erfuhr Weiß manche wichtige Einzelheit.
Einige Tage lang fuhr Johann einen ortsansässigen Deutschen, den Großbauern Kluge, Mitglied jener Fünften Kolonne in Polen, deren Führer am Vortag der Hitlerschen Invasion Diversionsakte vollführten und danach die Rolle von Handlangern der Gestapo spielten.
Kluge, als er erfuhr, daß Weiß aus dem Baltikum stammte, sagte vorwurfsvoll:
„Solche Burschen wie du sollten einstweilen da oben bleiben, damit sie dann mit unseren Erfahrungen ein hübsches kleines Schlachtfest veranstalten."
Weiß fragte:
„Glauben Sie, daß wir dazu die Möglichkeit haben werden?"
„Aber sicher, mein Junge!"
In Kluges Wirtschaft arbeiteten einige Dutzend kriegsgefangener Polen und Franzosen. Da er aber einen Vertrag über die Lieferung von Schotter für den Straßenbau abgeschlossen hatte, arbeiteten alle Gefangenen im Steinbruch. Jetzt bemühte sich Kluge um neue Gefangene für seine Wirtschaft. Er versicherte, daß seine früheren an der Ruhr gestorben seien.
Keller hatte Weiß angewiesen, nachmittags um vierzehn Uhr seinen Dienst für Kluge zu beenden. Am nächsten Morgen fuhr Johann Kluge zu verschiedenen Behörden. Anschließend sollte er ihn auf sein Gut fahren. Bis punkt zwei Uhr fuhr Johann über vom Regen aufgeweichte Feldwege. Um zwei Uhr hielt er den Wagen an, öffnete den Wagenschlag und erklärte:
„Herr Kluge, die Zeit, in der Ihnen der Wagen zur Verfügung gestanden hat, ist zu Ende."
Weiß öffnete den Kofferraum, holte Kluges Koffer hervor und stellte ihn auf die Erde.
Kluge sagte aufgebracht:
„Ich habe noch zweiundfünfzig Kilometer zu fahren, ich bezahle Sie. Man kann doch einen Menschen nicht mitten auf der Straße hinaussetzen."
„Steigen Sie aus."
„Ich steige nicht aus."
Weiß machte mit dem Wagen kehrt und fuhr in die entgegengesetzte Richtung.
„Meine Sachen sind doch auf dem Weg geblieben!"
Weiß schwieg.
„Halten Sie an!"
Weiß bremste. Kluge kramte in seiner Brieftasche herum, dann steckte er Weiß Geld zu.
Johann schob seine Hand weg.
„Na gut", sagte Kluge, „dafür wirst du mir noch büßen."
In die Garage zurückgekehrt, meldete Weiß Keller, daß Kluge den Wagen habe länger behalten wollen.
Keller
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