Im Labyrinth der Abwehr
ihr befand sich die Liste der für die Abwehr vorgeschlagenen Häftlinge und ein Bericht an Landsdorf, den Weiß geschrieben hatte.
Dietrich überdachte die Zusammenarbeit mit Weiß, er beschloß, ihn zum Unteroffizier zu befördern. Im gefiel der immer gleiche, beständige Diensteifer, seine Arbeitsliebe und jene kalte Unverfrorenheit, mit der er sich bei den Lagervorgesetzten die Unterlagen beschafft hatte, um die Arbeit machen zu können, die im Grunde Dietrichs Arbeit war.
Auch Weiß war mit Dietrich zufrieden. Er war froh, daß er an ihn geraten war, einen Menschen, der ängstlich, faul und träge war und ihm deshalb den Auftrag völlig überlassen hatte, ohne sich in seine Arbeit einzumischen.
30
Canaris betrat mit kleinen, trippelnden Schritten das Arbeitszimmer des Führers. Den Kopf mit dem sorgfältig pomadisierten Haar seitlich haltend, tat er so, als ob er keuchte, um auf diese Art und Weise seinen Diensteifer zu bekunden. Diese Beflissenheit täuschte er nur vor: Er hatte mehr als eine Stunde geduldig gewartet, bis man ihn ins Empfangszimmer der Reichskanzlei gerufen hatte, und dabei den Adjutanten des Führers durch eine heitere Unterhaltung zerstreut. Er verstand es zu unterhalten, ohne etwas auszuplaudern, und weckte gleichzeitig beim Gesprächspartner das gefährliche Bedürfnis zu unnötiger Offenheit.
Durch den Adjutanten des Führers, seinen Geheimagenten, wußte Canaris, warum man ihn bestellt hatte.
Und Hitler wußte durch Heydrich, daß Canaris wußte, warum man ihn gerufen hatte. Von Heydrich wußte er auch, daß einer der engsten Mitarbeiter Canaris' ein Geheimagent Heydrichs war. All das wußte Canaris. Und daß Canaris es wußte, war auch dem Führer bekannt. Er hielt es für selbstverständlich. Es wäre merkwürdig gewesen, wenn einer seiner Handlanger im System der totalen Spionage nicht deren Allumfassenheit begriffen hätte.
Der Wettstreit zwischen Gestapo, SD und Abwehr, ihre Bemühungen, die zuverlässigste Quelle der Geheiminformationen für das Oberhaupt des Dritten Reiches zu werden, wurde von Hitler geschickt dazu benutzt, um jeden, der Informationen lieferte, zu überprüfen. Und über jeden einzelnen von ihnen besaß er Material, das gegen sie ausgespielt werden konnte.
Obwohl er wußte, daß Canaris ausgezeichnet darüber informiert war, weshalb man ihn gerufen hatte, hielt Hitler es dennoch für notwendig, sich zu ereifern, über Canaris herzufallen.
Canaris zog, wie es sich für solche Augenblicke gehörte, Grimassen, indem er auf seinen fleischigen Gesichtszügen abwechselnd Angst, Schrecken und demütige Unterwerfung spielen ließ.
Dieses Spiel dauerte solange an, bis beide Seiten sich davon überzeugt hatten, daß jeder von ihnen seine Rolle würdevoll gespielt hatte, erst dann befahl Hitler Canaris, Bericht zu erstatten. Nachdem Hitler den sachlichen Bericht bis zu Ende gehört und sich mit der ihm eigenen Genauigkeit in die Aufzeichnungen vergraben hatte, erklärte er kurz und bündig, daß die Spionage- und Diversionstätigkeit der Abwehr gegen die Sowjetunion, obwohl die Ausgaben jährlich 31 Millionen Reichsmark betrugen, höchst unbefriedigend sei. Hier vergaß sich Hitler wieder, nahm die entsprechende Pose ein und begann in einem schwülstigen Tonfall zu reden, ganz so, als ob er ein riesiges Auditorium vor sich hätte und nicht einen einzelnen Zuhörer, der überdies alles sehr gut wußte. Hitler sprach von einem neuen Krieg gegen die Russen, mit den besonderen Mitteln der totalen Diversion, totalen Spionage und totalen Wühlarbeit. Er wolle die Sowjetunion von innen sprengen. Sie würde mit Springquellen von Blut, mit Trümmern von Werken und Fabriken bedeckt werden. Der Tod würde über jedem schweben, und die Angst vor dem Terror würde das Volk in Erstarrung versetzen.
Canaris schaute den Führer an und wartete geduldig den Augenblick ab, wann man wieder eine vernünftige Unterhaltung beginnen könne. Er erwartete das Urteil über die von ihm vorbereitete Vorlage über die Schaffung eines breiten Netzes von Diversions- und Spionageschulen zur Ausbildung von Agenten, die für den Einsatz gegen die Sowjetunion bestimmt waren. Und wie ermüdend es auch war, sich die hochtrabenden Erörterungen des Führers anzuhören, in einem stimmte Canaris mit ihm völlig überein: Angesichts des langsamer werdenden Vormarschs der Wehrmacht im Osten war es unerläßlich, zu extremen Maßnahmen zu greifen und sie im großen Maßstab durchzuführen.
Mit diesem Ziel
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